“Tanzen dient nicht nur der Unterhaltung, es ist ein Teil der Sprache – unserer Sprache”
Julia Tverskaya
Haltung zeigen durchs Tanzen. Das Tanzkollektiv Company MEK setzt auf der Bühne klare Statements und nutzt das Handwerk, um Zeitgeschehnisse zu erzählen und der Hip-Hop Community Türen zu öffnen. Ich habe sie für unsere COLLECTIVE ISSUE bei den Proben zu ihrem aktuellen Stück Territory im Theater Basel begleitet.
Wer und was steckt hinter Company MEK? Mit welcher Intention entstand das Kollektiv?
Muhammed: Company MEK ist eine Tanzgruppe, welche mit verschiedenen Tänzerinnen und Tänzern aus der Streetdance Freelancer Szene arbeitet. Entstanden ist das Kollektiv aus verschiedenen Projekten, die 2017 realisiert wurden. Das Feedback war sehr positiv, worauf wir uns entschieden haben, ein Space zu kreieren, in dem einerseits Hip-Hop mit der Theaterkultur vereint wird und andererseits alltägliche Themen thematisiert und verarbeitet werden, die uns bewegen.
Was bedeutet es für euch, ein Teil dieses Tanzkollektivs zu sein?
Anna: Ich bin seit der Gründung dabei und arbeite sehr eng mit Muhammed zusammen. Durch die Zusammenarbeit hat sich mein Horizont erweitert, ich bin als Künstlerin gewachsen und habe mich tänzerisch weiterentwickelt, wir können uns kreativ einbringen und verausgaben.
“Company MEK ist – auch wenn es sich nach einer Standart-Floskel anhört – eine Art Familie, wo sich mensch gesehen und gehört fühlt.”
Egon: Ich bin auch seit dem Anfang mit dabei. Ich sehe das gleich wie Anna. Es ist auch sehr schön zu sehen, wie ein Traum eines Menschen wachsen kann und wir ein Teil davon sein können.
Ich habe schon einige Stück von euch gesehen. Ihr verschmelzt auf der Bühne in eine Einheit und es gelingt euch, dieses Gefühl auf das Publikum zu übertragen. Ihr wirkt stark und überzeugend. Wie findet ihr innerhalb der Gruppe zueinander?
Anna: Wir verbringen oft Zeit zusammen und unternehmen auch abseits des Trainings und der Bühne Dinge miteinander. Zudem trägt auch Muhammed sehr vieles dazu bei, dass die Gruppe einen Zusammenhalt bildet. Er hat die Gabe eine Atmosphäre zu schaffen, in der wir uns entfalten und zusammenfinden können. Wir sind alle leidenschaftliche Tänzerinnen und Tänzer, die eine passion for the movement haben. Das prägt die Gruppe.
Muhammed: Oft findet sich die Ganzheit auch themenbedingt. Je nachdem, welches Thema wir umsetzen, entsteht ein Austausch, sowohl von Erfahrungen als auch von Gedanken und Empfindungen.
“In solchen Momenten sind wir nicht nur ein Tanzkollektiv, sondern wir bilden eine Art Safer Space, wo eine ehrliche Auseinandersetzung stattfindet. Das verbindet und überträgt sich entsprechend auf unsere Performance.”
Eure Tanzstücke thematisieren oft soziopolitische Geschehnisse und Missstände. Wo entsteht die Verbindung zwischen Tanz und Aktivismus? Besonders wenn man die Hypothese aufstellt, dass Tanzen in erster Linie der Unterhaltung dient?
Muhammed: Ja, Tanz kann tatsächlich einen Unterhaltungswert haben. Für mich hat er jedoch primär einen anderen Zweck. Das Tanzen ist nichts anderes als eine Sprache, ein weiteres Sprachrohr, um Wirklichkeiten abzubilden. Das ist, was wir tun. Wir nutzen es, um mit unseren Fähigkeiten eine Visibilität zu schaffen, die wichtig ist und die zu den Menschen durchdringen sollte.
Anna: Für mich muss Kunst die Realität reflektieren – gleichzeitig eine externe als auch innere Auseinandersetzung anregen. Das Erarbeiten eines Stückes kann dir helfen, Dinge, die dich beschäftigen, zu verarbeiten.
Ich stelle mir, aufgrund von meinem Migrationshintergrund, oft die Frage, ob Menschen, die Rassismus und/oder Diskriminierung erfahren, sich verpflichtet fühlen, diese Themen immer wieder aufzugreifen und zu thematisieren.
Muhammed: Ich habe das Gefühl, das passiert automatisch. Keines der Stücke war jemals ein “Wir machen es, weil wir es thematisieren müssen”-Projekt. Es ist vielmehr eine intrinsische Einstellung, die mich bewegt.
Anna: Ja,das stimmt, aber ich finde diese Reflektion nicht schlecht. Gerade weil diese Themen einen grossen Teil meiner Realität ausmachen, fühle ich mich verpflichtet, mich mit ihnen auseinanderzusetzen. Wer ständig im happy land lebt, hat wahrscheinlich ein geringeres Bedürfnis, politische Statements zu setzen. Hinzu kommt noch der Faktor, dass Hip Hop politisch ist. Einfach gesagt:
“Sobald du als Mensch einer Minderheit angehörst, Rassismus und/oder Diskriminierung erfährst, ist deine Kunst immer politisch.”
Wie tretet ihr als Kollektiv an die Ausarbeitung eines solchen Projekts?
Muhammed: Miteinander reden, diskutieren und wenn wir während der Ausarbeitung nicht den gleichen Nenner finden, wird es konzeptionell angegangen.
Glory: Wenn man mit einem Thema weniger vertraut ist, hilft der gemeinsame Austausch. Dieser regt wiederum die individuelle Auseinandersetzung an. Je stärker mensch sich mit dem Inhalt beschäftigt, desto klarer kann man die Emotionen in die Performance und in die Gruppe einbringen.
Dient für euch die Company in solchen Momenten als eine Art Auffangnetz?
Anna: Als Gruppe ja, wir versuchen uns in solchen Momenten gegenseitig abzulenken. Als Anna bin ich noch auf der Suche, wie ich mich aus dieser Schwere rausziehen kann.
Muhammed: Ja, wir lernen vieles voneinander – auch im tänzerischen Bereich. Für mich ist es ein Privileg mit solchen Menschen und Tänzerinnen und Tänzern zusammenarbeiten zu können, bei denen du weisst, dass sie immer hinter dir stehen und mit dir mitgehen. Mensch kann sich öffnen und fallen lassen, Neues ausprobieren und sich aufeinander verlassen.
Welches sind die Momente, in denen ihr euch am nächsten seid?
Egon: Unterschiedlich. Es gibt nicht den Moment. Manchmal ist es im Training, auf der Bühne, beim Applaus. Es ist ein Gefühlsmoment, der nicht auf irgendein Ereignis beschränkt werden kann.
Stichwort Bühne: Was sollte das Publikum nach einer Performance mitnehmen?
Egon: Es kommt darauf an, was wir ihnen mitgeben möchten. Das ist oft themenbezogen und variiert von Stück zu Stück.
Anna: Für mich ist es Selbstreflektion. Ich hoffe, dass unser Stück das Publikum dazu bewegt, sich mit den Themen auseinanderzusetzen. Egal, ob im Austausch mit uns oder durch eigene Recherchen. Wir möchten aber auch dazu beitragen, dass Hip Hop in bürgerlichen Institutionen, wie zum Beispiel dem Theater und der Kultur generell, Platz und Akzeptanz findet.
Zu guter Letzt: Was sind die Zukunftsziele und Hoffnung der Company MEK?
Anna: Eine internationale Tournee wäre was! Aber natürlich weitere Projekte, weitere Themen ausarbeiten und umsetzen; in der Gruppe wachsen, aber mich auch als Tänzerin weiterentwickeln.
Toschkin: Besonders für uns als Hip Hop Tänzerinnen und Tänzer ist es ein Anliegen, diese Kultur im bürgerlichen Bewusstsein zu etablieren. Wirft man einen Blick auf die Tanzszene in Frankreich, ist die Möglichkeit, dieses Vorhaben umzusetzen, nicht abwegig. Dagegen werden wir hier in der Schweiz noch oft in diese klischeehafte Schublade gesteckt. Wir möchten das erweitern.
Muhammed: Wir möchten einen footprint hinterlassen. Unser Wunsch wäre es, ein eigenes Theater zu eröffnen, wo der Hip Hop der Community dient. Wir möchten Grenzen aufbrechen und Türen für andere öffnen.
Photocredit: Julia Tverskaya X FEMPOP