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Die letzten heissen Tage der Patriarchen

Noemi Grütter

“Und ist es ein Konsenslukas?” Seit wenigen Jahren gab es eine grosse Veränderung in unserer Girlgang. Nach einem Date, einem Treffen mit einem Sexgspändli oder One Night Stand ging es nicht mehr darum, ob und wie viele Orgasmen er dir “gemacht” hat, sondern inwiefern Konsens eingeholt wurde für jegliche Avancen. Konsenstypen bekommen von uns 11/10 Punkte. Nicht-konsens Typen machen sich das Leben mit uns von Anfang an schwer. Sex mit FINTAs finden wir grundsätzlich sowieso unterstützenswert.

Feministische Männer sind heiss. Und es geht eben nicht um diese “Yey, finde ich übrigens auch voll okay, wenn Frauen gleich viel verdienen wie Männer, das unterstütze ich!”. Sondern es geht um die Männer, die ein Grundverständnis von Feminismus zeigen. Die ihre Privilegien ungefragt hinterfragen. Die ohne wütend oder unbequem zu werden, sich feministische Diskussionen anhören und nicht gleich aufspringen, wenn sie das Wort “Patriarchat” hören. Die, die nach Konsens fragen.

Wie hot ist “Sag mir genau, was du willst, was ich mit dir mache”, anstatt eine ungefragte Hand oder Beule am Arsch?

Der männliche Feminist ist ein Neuling in der gesellschaftlichen Szene. Natürlich gibt es schon seit Jahrzehnten männliche Feministen in der Bewegung, aber die wachsende Zahl von Männern, die sich als Feministen bezeichnen, hat der Dating-Szene eine ganz neue Dimension verliehen. Wie hot ist es darüber sprechen zu können, was und wie man(n) begehrt werden möchte, anstatt die ganze Lust hinter einem “Du möchtest das doch auch” zu verstecken? Wie hot ist “Sag mir genau, was du willst, was ich mit dir mache”, anstatt eine ungefragte Hand oder Beule am Arsch?

Und natürlich geht es nicht nur um Sex. Es geht auch um Liebesbeziehungen, um Freundschaften, um jegliche Arten von Anziehungen. Hätte die feministische Bewegung nicht die gesellschaftlichen Bedingungen dafür geschaffen, dass Frauen die Bedeutung der Liebe überdenken konnten, hätte niemand von uns die neuen und andersartigen Bindungen zu Männern eingehen können, die entstanden. “Wenn Liebe, wie es der radikale Feminismus vertrat, wirklich nur unter Gleichen möglich war, mussten Männer, um Frauen zu lieben, ihre Zustimmung zum patriarchalen Denken und Handeln aufgeben”, erklärt uns bell hooks. Die Narrative der Liebe und Anziehung veränderten sich in den späten Sechziger- und frühen Siebzigerjahren. Die Frauenbewegung hatte für eine neue Gesellschaftsordnung gesorgt. Die Praktiken der heterosexuellen und romantischen Liebe waren für immer verändert. Doch wir wissen alle, dass die heterosexuelle romantische Liebe immer noch wie ein lähmendes Gift in uns ist.

Man muss uns nur vor einer Sache beschützen: dem Patriarchat.

In unserer Gesellschaft wird immer noch angenommen, dass die heissen, liebenswerten Männer stahlharte Körper, symmetrische Gesichter, Sinn für Humor, Geld und Macht haben. Uns zeigen, wo es lang geht. Uns beschützen. Aber wisst ihr was? Man muss uns nur vor einer Sache beschützen: dem Patriarchat.

Frauen werden zum “anderen Geschlecht” gemacht, weil sie das eigentliche Geschlecht sind. Sie haben Macht. Female Choice, nennt man das auch (konzeptualisiert von Meike Stoverock). Es geht darum, dass Frauen eigentlich eine biologische Überlegenheit gegenüber Männern haben: sich den Sexualpartner aussuchen zu können, weil für Frauen die Reproduktion mit sehr viel mehr Aufwand und Risiko verbunden ist (siehe auch Vergleich Tierwelt). Nach Meike Stoverocks Recherche kämen in einem funktionierenden Female-Choice-System für 80 Prozent der weiblichen Population nur 20 Prozent der männlichen Population für Paarungszwecke infrage. Das verschärft sich bei Menschen, da wir wie andere Primatenarten auch aus sozialen Gründen Sex haben. Und darin liegt der Grund, warum Männer seit Jahrtausenden versuchen, Frauen ihrer Female Choice zu entmündigen. Ihre Sexualität wurde durch Moral, Religion und Gesellschaft in Stücke zerrissen. Der Reproduktionszyklus mit Ekel behaftet. Sie sollen, wie die Dichterin Rupi Kaur schreibt, Blut und Milch vor Männern verbergen, so als ob nicht Uterus und Brust sie lebensfähig gemacht hätten. Gelebte Lust wird als Sünde konstruiert. Es wurde alles dafür gemacht, dass Frauen nicht auf die Idee kommen, ihren eigenen Weg zu gehen und ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Male Choice wurde eingeführt, besser gesagt erzwungen.

Was wäre, wenn wir dieses Szenario umdrehen? Wenn wir die Female Choice wieder ins Leben rufen? Eigenständig definieren, was wir als “heiss” empfinden? Ein neues Paradigma schaffen, neue soziale, gesellschaftliche Gesetze? Wenn wir männliche Hotness auf feministischen Werten basieren? Uns versuchen von diesem hetero-romantico-Gift zu lösen?

Beginnen wir damit, bei unseren Freund*innen über Konsenslukas nachzufragen und nicht über die Anzahl Orgasmen. Denn: Konsenslukas ist HOT!

Disclaimer: Der Text ist sehr binär, da ich der Komplexität der Realität der Diversität von Geschlechtsidentitäten in diesem Text nicht gerecht werden kann. Dazu kommt, dass ich über heterosexuelle Anziehungen schreibe und andere Sexualitäten ausschliesse, um genau diese dominanten Strukturen zu hinterfragen. Trans, inter, non-binäre und agender Menschen existieren (zum Glück!) und helfen der Gesellschaft, Strukturen aufzubrechen.

Photocredit: Benoît Robert und Noemi Grütter