CultureDigitalQueens' Issue

Sophie Mutig

Rahel Fenini

Sophie Achermann hat Mut. Mut, sich für die wichtigen – und richtigen – Dinge einzusetzen, ohne sich dabei selbst zu verlieren. Im Gespräch mit fempop spricht die 28-jährige #heroine über Hass im Netz, Zivilcourage und das Verbesserungspotential der Schweizer Politik.

Für unsere Leser*innen, die dich nicht kennen: Wer bist du und was machst du?
Mein Name ist Sophie Achermann, ich bin Geschäftsführerin von alliance f und Co-Projektleiterin vom Projekt “Stop Hate Speech”.

Mit Stop Hate Speech kämpft ihr gegen Hassrede im Internet. Hast du persönlich schon Hass im Web erlebt? Wenn ja, wie bist du damit umgegangen?
Ja, ich habe persönlich auch schon Hass erlebt – vor allem im Nachgang an die Lancierung unserer neuen Plattform Stop Hate Speech. Zeitenweise war das wirklich heftig: Wir bekamen nicht nur Mails und Kommentare, sondern auch Anrufe ins Büro von Personen, die uns arg beschimpften. Daraufhin haben wir uns untereinander aber auch mit der Polizei ausgetauscht. Die Polizei meinte, dass es leider beinahe normal ist, dass man während einer Woche nach Lancierung eines Projektes oder nach einem Communiqué Hass bekommt. Dieser sollte aber nach circa sieben Tagen wieder abflachen. Ist dies nicht der Fall, müsse man sich Sorgen um die persönliche Sicherheit machen. Dieser Hass und die negativen Mails waren am Anfang sehr anstrengend und auch ernüchternd. Wenn das alles ist, das du nach einer so intensiven Vorbereitungszeit und Lancierung zurückbekommst, beginnst du dich zu fragen, ob du so etwas Falsches machst. Einen Monat später merke ich nun aber, dass das Positive überwiegt – und insofern kann ich das Ganze auch besser zuordnen. Nicht zuletzt habe ich auch ein wunderbares Team, das mich – nicht nur – in diesen Belangen unterstützt.

Inwiefern unterscheidet sich euer Projekt “Stop Hate Speech” inkl. Bot Dog von anderen Aktivitäten in der Bekämpfung von Hassrede? Was macht euer Projekt so aussergewöhnlich?
In unserem Projekt werden Technik, Zivilgesellschaft und Wissenschaft miteinander vereint. Uns war es von Anfang an ein Anliegen, nicht nur eine rein technische bzw. rein zivilgesellschaftliche Lösung gegen Hate Speech zu finden. Die drei Pfeiler ergänzen sich gegenseitig und so können wir mit vereinten Kräften auf den unterschiedlichsten Stufen, sei das in der Vorbeugung oder im Monitoring von Hass im Netz, gegen dieses Phänomen angehen.

“Der einzige Weg, Hate Speech zu stoppen, ist mit Counterspeech dazwischenzufunken”, heisst es im Projektclip. Was bedeutet Counterspeech und wie funktioniert diese?
Genau, wir gehen davon aus, dass Counterspeech der einzige Weg ist, wirklich etwas zu bewirken. Zum einen bewirkt das alleinige Löschen einer Nachricht nicht viel, da sie häufig weitere ähnliche Kommentare nach sich ziehen.

Zum anderen sind viele Nachrichten, die schwer verwerflich und für eine Demokratie extrem gefährlich sind, schlicht und einfach nicht strafbar. In der Schweiz haben wir zum Beispiel keine Sexismusstrafnorm.

Sprich, es kann gegen eine Frau alles gesagt werden, solange das Gesagte kein Gewaltaufruf ist. Da haben wir gemerkt, dass wir eine andere Lösung benötigen – und da kommt Counterspeech ins Spiel. Counterspeech bedeutet, dass sich jede*r in den Diskurs einschaltet; so kann Counterspeech auch als Zivilcourage im Internet übersetzt werden. Was wir im offline Leben oft erleben und auch selbst tun, findet im Internet so nicht statt. Während wir beim Abendessen mit Freunden sagen “Hey, das ist rassistisch und finde ich nicht in Ordnung”, machen wir das im Internet nicht. Ich glaube, das hat damit zu tun, dass wir uns in diesen Momenten nicht verantwortlich fühlen und – aufgrund der Anonymität des Internets – die Person, welche die Äusserung macht, nicht kennen. So haben wir das Gefühl, dass uns das Ganze nichts angeht.

Doch Sprache schafft Realität. Wir haben gesehen, wie sich der Diskurs in den vergangenen Jahren massiv verschoben hat. Heutzutage kann und darf man viele Dinge sagen, die man vor fünf Jahren so nicht gesagt hätte. Das ist brandgefährlich für eine Gesellschaft. Mit unserem Projekt versuchen wir, die Leute zu ermutigen, gegen Hass im Internet vorzugehen. Es ist ihr Internet und sie sind in der Verantwortung, dass es ein friedlicher Ort ist, an dem in anständigem Ton ein Diskurs geführt wird. Ansonsten wird das Ganze eine Nebelwolke aus Hass, und aus Angst vor noch mehr Hass, getraut man sich gar nicht mehr sich zu äussern. Uns wird oft vorgeworfen, dass wir Zensur betreiben. In unserem Projekt wird jedoch weder etwas gelöscht noch sind irgendwelche Automatismen vorgesehen. Der Bot Dog spürt Hass im Netz auf und bringt diesen an die Community zurück. Diese löscht die Kommentare nicht, sondern schaltet sich in den Diskurs ein und versucht so, eine Meinungsvielfalt abzubilden, die meines Erachtens zur Zeit zu kurz kommt.

Politik wird in deinem Leben gross geschrieben. Knapp drei Wochen nach deiner Wiederwahl in den Berner Stadtrat hast du jedoch deinen Rücktritt bekanntgegeben. Was hat dich zu dieser Entscheidung bewogen?
Das hat unterschiedliche Gründe. Zum einen ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie – und das haben wir wohl alle im letzten, schwierigen Corona-Jahr gemerkt – nicht ganz einfach. Die Politik kommt da noch dazu, spielt diese nach ganz speziellen, teilweise veralteten Regeln. Politik findet am Abend statt. Dann, wann keine externe Kinderbetreuung zur Verfügung steht. Diese Gegebenheit kann einen extremen Druck auf ein ganzes Familiensystem auslösen. Zum anderen ist in meinem nahen Umfeld eine Person schwer erkrankt, die uns in der Familienbetreuung stark entlastete. So bin ich schlichtweg an meine Grenzen gestossen. Ich habe gemerkt, dass ich als gewählte Person meinem Amt nicht so gerecht werden kann, wie ich mir das wünsche und wie ich es in meiner Verantwortung sehe. Dieser Entscheid ist mir schwer gefallen, hätte ich gerne in diesem 70%-Frauenanteil-Parlament mitgewirkt. Dennoch war es persönlich ein wichtiger und richtiger Entscheid – obwohl viele meinten: “Wie kannst du das als Feministin nicht wollen?”

In meinen Augen ist nicht jede persönliche Entscheidung ein Symbol von Feminismus. Persönliche Entscheidungen sollen getroffen werden dürfen – und so auch im Feminismus Platz haben.

Was muss sich ändern, dass die politische Partizipation von Frauen noch mehr zunimmt? Welche Strukturen müssen verändert werden, damit mehr Frauen politische Ämter übernehmen?
Ich denke, da gibt es zwei Punkte, die ich besonders wichtig finde. Fast jede politische Karriere beginnt in der Gemeindepolitik. Diese Ämter sind schlecht bezahlt und Sitzungen etc. finden zu Zeiten statt, an denen keine externe Kinderbetreuung verfügbar ist. Auf kantonaler Ebene sieht das schon ein wenig anders aus: Die Bezahlung ist anständiger und die Sessionen finden am Tag en bloc statt, was besser vereinbar ist mit Familie und Privatleben. Dennoch gibt es auch hier noch Verbesserungspotential und die gegebenen Strukturen können noch aufgewertet werden, z.B. mit einer noch besseren Entlöhnung für eine Arbeit, die wirklich viel Engagement und Zeit in Anspruch nimmt. Denn Politik schliesst nicht nur Mütter und Väter aus, die stark in die Familienarbeit eingespannt sind, sondern auch Menschen, die im Tieflohnsegment tätig sind und es sich so schlichtweg nicht leisten können, Politik zu betreiben. Politik ist also keine Struktur, die sehr demokratisch aufgebaut ist, da sie aufgrund ihrer Gegebenheiten schon viele Personen per se exkludiert.

Unsere fempop-Ausgabe zum Jubiläumsjahr 2021 setzt mutige, starke und wegbereitende Frauen in den Fokus. Was bedeutet Mut für dich und wofür brauchst du Mut?  Und was hat Mut mit eurem Projekt “Stop Hate Speech” zu tun?
Mut – oh ja, ich brauche sehr häufig Mut, z.B. um mich in der Öffentlichkeit zu exponieren. Beim Projekt “Stop Hate Speech” hat es Mut gebraucht, sich in diesem sehr männlich konnotierten Bereich der Digitalisierung in den Diskurs einzuschalten. Es hat aber auch nur schon Mut gekostet, dieses grosse Projekt an die Hand zu nehmen. Dabei haben uns Personen unterstützt, die uns das Ganze zugetraut und uns immer wieder ermutigt haben. Heute schauen wir mit Freude und Stolz zurück und sehen, dass wir an einem ganz anderen Punkt stehen. In diesem Zusammenhang wollen auch wir alle Personen ermutigen, mehr Zivilcourage zu zeigen, sich einzusetzen gegen Hass im Netz und die eigene Stimme zu nutzen.

Das Internet ist mensch-gemacht, die Digitalisierung ist mensch-gemacht und wir können mensch-gemacht dagegen angehen. Und ja, das braucht immer mal wieder Mut.

Mit jedem Tweet, jedem Post und jedem Kommentar exponiert man sich selbst – doch sehe ich das als unsere Pflicht, hier Verantwortung zu übernehmen.

Was kann jede*r Einzelne gegen Hassrede tun – sowohl online als auch offline?
Es ist unsere Gesellschaft, es ist unser Internet. Wir müssen dafür sorgen, dass es bzw. wir anständig bleiben. Die Vorkommnisse in den USA haben uns vor Augen geführt, dass konstante Wiederholungen von Fake-News und Hass Menschen und ihre Sichtweisen beeinflussen. Sprache schafft Realität. Das kann aber auch good news bedeuten. Wenn wir den Mut fassen, uns gegen Hassrede einzusetzen, dasselbe immer und immer wiederholen, wird auch das Spuren im Internet hinterlassen. Ansonsten haben wir das Internet verloren.

Mehr zum Thema findet ihr unter www.alliancef.ch und www.stophatespeech.ch!