CulturePower IssueQueer Talk

Queer Talk, Vol. 8: Gecancelt!

Rico Schüpbach

Alle gecancelt! Die vermeintlich böse “Cancel Culture” und “politische Korrektheit” sind Schlagworte der Rechtskonservativen und eigentlich nur eine Farce.

Ein weiterer Begriff aus den USA hält Einzug in den deutschsprachigen Raum. Die Rede ist von “Cancel Culture”. Er beschreibt eine Art des Boykotts, der vor allem durch die sozialen Medien befeuert wird. Eines der jüngsten Beispiele ist die Harry Potter Autorin J.K. Rowling, die sich via Twitter transphob geäussert hatte. Sie kassierte einen heftigen Shitstorm. Als weiteres Beispiel werden die übergriffigen Männer Hollywoods genannt, deren Missbräuche durch #metoo sichtbar wurden. Die Männer wurden öffentlich demontiert. Einige sehen in ihnen Opfer der sogenannten “Cancel Culture”. Aus Tätern werden Opfer. Missbräuche und transphobe Äusserungen sind selbstverständlich nicht das Gleiche. Eine Äusserung ist zwar keine körperliche Gewalt, aber es ist eben verbale Gewalt von einer einflussreichen Person. Und auch das ist Gift.

Wann wird der Begriff verwendet?
Rechtskonservative drücken mit dem Begriff ihre Ängste aus. In ihren Augen übernimmt eine linke Gesinnungsdiktatur die Weltherrschaft. Sie behaupten, es werde eine Kultur gefördert, in der man seine Meinung nicht mehr offen aussprechen darf, weil man sonst eben boykottiert und geächtet wird. Ähnlich verhält es sich mit dem Begriff “Political Correctness”. Man wisse heute ja gar nicht mehr, was man noch sagen darf und was nicht, sofort stünde man am öffentlichen Pranger. Das sei unfair und zerstöre die Karriere unschuldiger Menschen. Ganz ehrlich, ich halte das für ziemlichen Unsinn. Und auch für realitätsfern. Viel zu oft werden freie Meinungsäusserung und Hetze oder Grenzüberschreitungen verwechselt. Ist es nicht einfach mal an der Zeit, dass so alte, übergriffige Typen wie Weinstein von der Bildfläche verschwinden? Sollen wir ihn bedauern weil seine Karriere vorbei ist? Oder doch noch mal darüber diskutieren, ob wir Künstler und Werk getrennt betrachten sollen? Nein, in dem Fall sicher nicht.

Es geht hier auch nicht darum, ob man sich am Stammtisch menschenverachtend äussern darf. Das ist wirklich ein anderes Level. Es geht um öffentliche Personen oder auch Organisationen, die in Machtpositionen sind. J.K. Rowling ist eine der einflussreichsten Kinderbuchautorinnen der Welt. Ihre Meinung hat Gewicht.

Menschen und Organisationen, die sich rassistisch, sexistisch, homophob oder in sonst einer menschenverachtenden Weise äussern oder so handeln, müssen mit Kritik rechnen. Mit unfairer Zensur hat das wirklich nichts zu tun. Im Falle von #metoo sprechen wir von Vergewaltigern, was will man da noch beschönigen? Es ist längst überfällig, Sexismus, Rassismus, Homophobie und andere Diskriminierungsformen zu kritisieren. Das gehört zum Wandel und zur Debatte. Endlich leben wir in einer Zeit, in der marginalisierte Menschen Unrecht öffentlich ansprechen und das hat für die Täter*innen Konsequenzen. Zum Glück.

Illustration: Patricia Wyler for fempop