Ein literarisch angehauchter Gedankenanstoss
Nach einenhalb Stunden seltsamem 40-Grad-Celsius-Yoga war ich zugegebenermassen etwas jammerig. “Ich brauche eine heisse Schoggi”, japste ich, als meine langjährige Freundin Alina und ich aus dem Studio rauskamen. Wir steuerten ins nächstbeste Hipstercafé, wohl beide gleich fertig. Für Alina wars das erste Mal, für mich das vierte.
“Was ich heftig fand an diesem Yoga”, sagte Alina, als wir mit dampfenden Tassen am Tisch sassen, “war, wie die meisten Frauen da ähnlich aussahen. So krass durchtrainiert und dünn! Und alle mit diesen farbigen BHs wie von den Fitness-Profilen auf Insta. Und alle recht schön. Fandest du die nicht auch schön?” – “Mh, nicht so mein Typ Frau”, antwortete ich schmunzelnd, “ist es denn deiner?” Ein blöder Spruch; im Gegensatz zu mir ist Alina hetero. “Neiin, schon nicht, also ich mein sieht nicht schlecht aus, aber ich hab nicht… nein”, sagte sie, den Blick etwas abwesend zu ihrem Ingwertee gesenkt.
“Aber… weisst du noch, als ich dir erzählt habe, wie betrunken ich war am Weihnachtsessen?” – “Ja, warum, hast du da auch Yoga gemacht?” Sie rollte mit den Augen. Aber sie lachte nicht mehr. “Als Roman und Kai weitergezogen sind, sind wir zu fünft noch geblieben, ohne die Jungs. Es war so lustig, wir haben echt nur Beyoncé gehört und getanzt. Es war soo gut! Aber dann…” Ich setzte meine Tasse ab. Was folgt jetzt? Eine Orgie? Eine Ohnmacht? Eine Orgie mit Ohnmacht? “Der einen Mitarbeiterin, wir verstehen uns ganz gut, ihr ist beim Tanzen so der Träger ihres Shirts über die Schulter gefallen. War ja total egal, aber… Ich fand das plötzlich schön. Mehr als schön. Heiss..?” Ich lächelte. “Kann ja auch schön sein. Alina, das ist doch mega okay.” – “Aber ist es das wirklich? Ich mein, da waren wir für ein einziges Mal die Jungs los, Kai diesen Creep vor allem, endlich waren wir die Creeps los und dann… wurde ich einer?!” – “Moment, hast du sie angetatscht?” – “Natürlich nicht, wir haben nur alle getanzt und sind dann irgendwann nach Hause, aber das ist doch creepy? Sie fühlt sich wohl, weil wir endlich mal unter Frauen sind, und dann denke ich solche Sachen über sie?”
Ich wünschte, es sei eine Ausnahme, wie Alina fühlt. Aber ist es nicht. Frauen – egal ob homo, bi oder (vorwiegend) hetero – haben eine Tendenz, sich zu schämen dafür, dass sie eine andere Frau heiss finden könnten. Einer Bekannten von mir tut es immer leid, wenn sie in der Vorlesung eine Mitstudentin anschmachtet. Andere haben Angst, dass sie in der gemeinsamen Umkleide einen Körper mal schön finden könnten. Ein Grossteil des Frauen-Datings besteht daraus, dass viele gar nie erst den ersten Schritt machen, aus der Angst, jemanden zu belästigen.
“Alina, das ist doch okay. Du hast sie ja nicht belästigt.” – “Ich weiss!”, rief sie aus, “aber es fühlte sich so an! Ich mein versteh mich nicht falsch, du weisst ich hab nichts gegen Lesben, es fühlte sich einfach so hinterlistig und creepy an, auf diese Weise von ihr zu denken!” – Warum fühlen wir uns creepy, nur weil wir eine Frau schön finden? Geht es uns auch so, wenn wir Männer begehren? Und: Geht es Männern auch so? Schämen sie sich dafür, jemanden heiss zu finden?
Ich fragte die mittelmässigsten Dating-Strateginnen, die ich kenne: lesbische Teenagerinnen. “Naja, für mich war es irgendwie nie angenehm oder fair, wenn ein Typ bei mir den ersten Schritt gemacht hat”, sagte die eine. “Ja voll, es war immer etwas too much”, pflichtete die andere bei. “Es ist, wie wenn ich einfach keinen Bock hätte, so zu einer Frau zu sein, wie einige Jungs zu mir sind.”
Darüber dachte ich noch lange nach. Ich tu es noch immer.