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Vulva Whaaat?

Pascale von "das da unten"

“Wie nennt ihr eigentlich euer Geschlechtsteil?” Die Frage klang nicht so nebensächlich, wie ich es gerne gehabt hätte. Viel eher wie eine lang erprobte, ausführlich geplante Ankündigung zur Intervention. Obwohl sich bei mir bereits eine gewisse Nonchalance eingestellt hatte – dank der ausgedehnten Weinbegleitung zum Abendessen –, errötete ich. Hastig führte ich aus, wie ich erst vor kurzem so richtig realisiert hätte, dass ich über Jahre hinweg den falschen Begriff benutzte. Meine Freundinnen schienen verwundert und wollten wissen, welchen Begriff ich denn meinte. “Ja, Vagina halt,” erklärte ich. An ihren Blicken erkannte ich, dass ihnen noch immer unklar war, worauf ich hinauswollte. “Die Vagina ist ja eigentlich nur das, was beim Sex penetriert wird, also die Öffnung, welche zum Gebärmutterhals führt, und nicht das ganze Geschlecht. Alles, was von aussen ersichtlich ist, wird Vulva genannt. Wusstet ihr das?” Jein – meine Freundinnen, inklusive mir, haben bereits von diesem Begriff gehört, verstanden ihn jedoch als gleichbedeutend mit Vagina. Deshalb hätten auch sie ihr Geschlechtsteil, neben eigenen Kosenamen, stets Vagina genannt. Lola, die Hündin der Gastgeberin, hatte sich zuvor zwischen unsere Füsse gelegt und gab jetzt ein Bellen von sich. So, als ob sie uns mitteilen wollte, wie sie ihr Geschlechtsteil nennt. Die Diskussion wurde weder während dem gemeinsamen Abwasch noch dem anschliessenden Gassi-Gehen fallen gelassen. Sie endete erst mit dem Einfahren unseres Busses. Was also nun? Uns verabschieden, in den Bus steigen, über den tollen Abend nachdenken und hoffen, dass sich der Kater morgen in Grenzen hält? Das Ganze vergessen und zurück in den Alltag? Lola bellte und wir waren uns alle einig, dass wir die Sache angehen mussten.

“‘Die Grenzen unserer Sprache sind die Grenzen unserer Welt.'”

Inzwischen ist ein Jahr vergangen. Ein Jahr, in dem wir uns intensiv mit dem Sprachgebrauch rund um das weibliche* Geschlechtsorgan auseinandergesetzt haben. Wir haben erkannt, dass die Sprechakttheorie unserer Meinung einen theoretischen Rahmen bietet: Sprache stellt für uns Menschen nicht nur ein Instrument dar, um die Wirklichkeit zu beschreiben, sondern um diese zu formen und zu konstruieren. Ein Beispiel dafür ist die Sichtbarkeit anderer Geschlechter im öffentlichen Raum. Solange es kein Wort für die Geschlechtsidentität von Menschen gibt, die sich nicht in unser binäres Geschlechtersystem einordnen können oder wollen, existieren in unseren Gedanken – und somit auch in unserer Welt – nur zwei Geschlechter. Alles, was nicht eindeutig männlich oder weiblich zuzuordnen ist, wird als intergeschlechtlich, als etwas Zwischen-den-Geschlechtern-Liegendes bezeichnet und kann somit nichts eigenes, Für-Sich-Stehendes sein. Es wird nicht benannt, also existiert es auch nicht. Der Österreichische Philosoph Ludwig Wittgenstein formulierte diesen Grundsatz folgendermassen: “Die Grenzen unserer Sprache sind die Grenzen unserer Welt”.

Ist einem der realitätsbildende Charakter der Sprache bewusst, kann dieser instrumentalisiert werden. Ein Beispiel dafür ist die Darstellung und Beschreibung des weiblichen* Geschlechtsorgans in der Geschichte der Wissenschaft. Die Verwendung des Begriffes der Scheide – als Analogie zur Schwertscheide, deren einziger Verwendungszweck das Empfangen des Schwerts darstellt – schuf ein Bild der sexuell passiven, für die Lust des Mannes* hinhaltende Frau*. Zur Argumentation dienten den Ärzten von ihnen selber konstruierte, biologische Tatsachen, welche es fast unmöglich machten, dieses Frauenbild zu hinterfragen. Beispielsweise blieb die Klitoris bis 1948 namenlos; das Interesse, sie zu untersuchen, war in der männerdominierten Wissenschaft schlichtweg nicht vorhanden. Doch das ist alles schon lange her und wir sind längst bestens aufgeklärt – müssten wir meinen. Warum reden wir dann noch immer ganz selbstverständlich von Vagina, wenn dieser Begriff eigentlich nur einen Bruchteil des Gesamten darstellt? Auch uns war bis vor einiger Zeit nicht bewusst, dass die für die weibliche* Lust hauptverantwortliche Klitoris ein eigenes Organ ist, das aus zwei Schenkeln und Schwellkörpern besteht, und dass nur deren Spitze von aussen sichtbar ist.

Für uns ist klar: Es wird zu wenig über das da unten gesprochen. Das hat zur Folge, dass dieser Bereich mit viel Scham verbunden wird. Im schulischen Kontext kommt es vor, dass falsche Begriffe verwendet oder andere weggelassen werden. Im Lehrplan verankertes Ziel der schulischen Aufklärung ist unter anderem, dass Schüler*innen sexuelle Gewalt erkennen und wissen, wie sie sich Hilfe holen können. Doch wie ist dies möglich, wenn ein Mädchen* keine Sprache für das da unten hat, ihre Geschlechtsteile nicht differenziert zu benennen weiss? Kosenamen für das Genital des Kindes mögen ja die gute Absicht haben, das Kind vor etwas Bestimmtem – Wir fragen uns; wovor denn eigentlich? – zu schützen, können aber kontraproduktiv sein. Die individuell erfundenen Namen sind insofern heikel, als sie in einem Gespräch nicht verstanden werden könnten. Die Gesprächspartner*in würde dann nicht nur den Namen, sondern auch das damit verbundene Bedürfnis oder Problem nicht verstehen. Je individueller die Kosenamen, desto weniger ist ein Austausch dazu möglich, da nicht allen Teilhabenden klar ist, wovon genau gesprochen wird. Verniedlichung, die oft mit Kosenamen einher geht, suggeriert, dass das weibliche* Geschlechtsteil “härziger” gemacht werden muss. Die Form wird zudem als wertendes Stilmittel benutzt, um Personen, Sachverhalte oder Dinge bedeutungsloser darzustellen. Wir wollen uns nicht per se gegen Kosenamen aussprechen. Wir fragen uns aber, weshalb wir den Kindern nicht gleich die korrekten Begriffe lernen sollten. Ausgehend von diesen können sie, sobald das Bedürfnis da ist, eigen kreierte Namen verwenden. So wird eine einheitliche Begrifflichkeit geschaffen, die eine unmissverständliche Kommunikation zulässt. Aber, welche Begriffe sind denn nun korrekt? Das weibliche* Genital besteht aus drei Teilen. Der äussere, sichtbare Teil, welcher Vulva genannt wird, schliesst die inneren und äusseren Labien sowie die Klitorisspitze ein. Der innere Teil besteht aus dem Muttermund, der Gebärmutter und den Eierstöcken. Die Vagina ist der Muskelschlauch, welcher den äusseren sowie den inneren Teil verbindet. Es ist also nicht möglich, einen allumfassenden Namen zu verwenden. Wir von das da unten plädieren dafür, dass der viel verwendete Begriff Vagina richtig eingesetzt und nicht mit der Vulva verwechselt wird. Es wäre nämlich jammerschade, würden wir durch den Sprachgebrauch von Vagina als allumfassenden Begriff, die Klitoris vom weiblichen* Geschlechtsorgan ausschliessen.

“Wir wollen den ausführlichen Diskurs, diesen Deep Talk, aus dem Wohnzimmer heraus, auf die Strassen und Blogs, in die Cafés, Bars und Clubs, die Umkleidekabinen und an die Hochschulen bringen. Wir wollen, dass die korrekte Begrifflichkeit des weiblichen* Genitals in den Köpfen unserer Mitmenschen verankert und alltäglich gebraucht wird.”

Es stellte sich heraus, dass die Frage, die ich damals nach dem Abendessen zögerlich in die Runde geworfen hatte, nicht nur darin bestand, eine Diskussion anzuregen. Sie diente der Initialzündung unseres Projektes: Wir wollen den ausführlichen Diskurs, diesen Deep Talk, aus dem Wohnzimmer heraus, auf die Strassen und Blogs, in die Cafés, Bars und Clubs, die Umkleidekabinen und an die Hochschulen bringen. Wir wollen, dass die korrekte Begrifflichkeit des weiblichen* Genitals in den Köpfen unserer Mitmenschen verankert und alltäglich gebraucht wird. Wir wollen zu einer besseren Aufklärung, als wir sie hatten, beitragen und damit das sexuelle Selbstbewusstsein von Mädchen* und Frauen* stärken. Wir wollen mehr Sichtbarkeit und Normalisierung für das weibliche* Geschlecht. Wir wollen mehr Liebe für Vulven in allen Farben und Formen!

Das Projekt das da unten wurde 2019 von fünf Frauen ins Leben gerufen. Sie plädieren für einen korrekten Sprachgebrauch rund um das weibliche* Geschlecht und für mehr Sichtbarkeit im öffentlichen Raum. Ziel ist es, Diskursräume zu schaffen und zu einer Normalisierung des Themas und zur Stärkung des sexuellen Selbstbewusstseins von Mädchen* und Frauen* beizutragen.