HeroineSex Issue

“Feminist*innen sind besser im Bett”: Unsere #heroine Theresa Lachner

Cécile Moser

Weil ihr der öffentliche Diskurs über Sex nicht gefiel, hat Theresa Lachner vor vier Jahren ihren eigenen Sex-Blog Lvstprinzip gegründet. fempop sprach mit ihr über den Einfluss von Popkultur auf Sexualität und Körperbilder, warum es für guten Sex mehr Ehrlichkeit und Entschleunigung braucht und welche Rolle Feminismus dabei spielt.

Wie kamst du dazu, einen Sexblog zu lancieren? Du hattest ja zuvor auch über viele andere Themen wie Reisen geschrieben…
Das stimmt, aber das Thema Sex kommt seit zehn Jahren einfach immer wieder zu mir zurück. Nachdem ich bei einer grossen Frauenzeitschrift gearbeitet hatte, und dabei festgestellt habe, wie einseitig das Thema Sex medial behandelt wird, habe ich beschlossen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen und 2015 Lvstprinzip gegründet.

Was findet man auf deinem Blog, was ist die Philosophie und Ausrichtung davon?
Sex ist ein wichtiger Teil unseres Lebens, egal ob wir welchen haben oder nicht. Keine*r von uns wäre hier, wenn unsere Eltern nicht irgendwann Sex gehabt hätten! Auf Lvstprinzip wird ihm der Raum zugestanden, den er verdient. Statt der hundertsten Blowjob-Bedienungsanleitung gibt es hier die Geschichten von Menschen zu lesen, die sich gern schlaue und ungewöhnliche Gedanken über ihre Sexualität machen. Ich bin dafür, mit dem Sex zu reden, statt über ihn – mich nerven diese Pseudodiskurse von Aussenstehenden und ich möchte über nichts schreiben, was ich nicht selbst ausprobiert habe. Dafür habe ich wunderbare Gastautor*innen.

Wo stehen wir heute in Deutschland oder in der Schweiz, wenn es um den öffentlichen Dialog um Sex geht?
In der Schweiz kenn ich mich nicht so gut aus, aber bei Begegnungen in Deutschland erlebe ich oft so eine Erleichterung, da “endlich mal normal drüber reden” zu dürfen. Das ist natürlich ein schönes Kompliment für meine Arbeit, aber gleichzeitig finde ich es auch schade, wie wenig normal Sex ansonsten zu sein scheint. Seit #metoo tut sich zum Glück einiges, zumindest scheint so langsam das Bewusstsein dafür zu wachsen, dass es sinnvoll ist, über Sex zu sprechen.

Was würdest du dir wünschen?
Mehr Ehrlichkeit und Fehlerfreundlichkeit! Eine Gesprächskultur, die auch Unsicherheiten zulässt. Verständnis. Entschleunigung.

Gibt es Tabus für dich, etwa in Bezug auf dein eigenes Sexleben? Worüber würdest du nicht schreiben?
Natürlich, jeder Mensch hat Tabus, und das ist auch gut so, denn Tabus haben ja immer auch eine Schutzfunktion. Die Kunst besteht natürlich darin, herauszufinden, welches Tabu für einen selbst sinnvoll ist und sich gut anfühlt, und welches einem von der Gesellschaft aufgezwängt wurde und einen unfrei macht. Ich würde über nichts schreiben, was ich selbst noch nicht verarbeitet habe.

Aufklärung bei Jugendlichen, etwa in Schulen, ist noch immer sehr nebensächlich und teilweise veraltet. Wenn ich an meine eigene Aufklärung denke, hätte ich gerne mit 15 schon mehr über weibliche Orgasmen gewusst. Was können wir hier tun?
Ich habe in der Schule eigentlich nur gelernt, dass Sex dazu da ist, um Babys zu machen, und wie man ein Kondom über eine Banane zieht, um keins zu bekommen. Dass (und wie) Sex Spass macht, Pornos meistens totaler Quatsch sind, ich Grenzen haben und kommunizieren darf, und was mir eigentlich so gefällt, habe ich erst im Learning by Doing herausgefunden. Inzwischen buchen viele Schulen externe Sexualpädagog*innen, die als Mann-Frau-Team in die Klassen kommen und dort zumindest mal einen ganzen Tag Aufklärungsworkshops halten. Das finde ich sehr viel sinnvoller, als eine Stunde lang dem verkrampften Biolehrer zuzuhören, den man danach noch das ganze Jahr sehen muss und dem man wahrscheinlich keine Fragen zu seinen Orgasmen stellen möchte. Aufklärungsbücher wie “Make Love” oder Websites wie www.lilli.ch helfen bei konkreten Fragen super weiter – übrigens auch uns Erwachsenen.

Du machst derzeit noch eine Ausbildung zur Sexualtherapeutin. Was genau muss man sich darunter vorstellen?
Zur systemischen Sexualberaterin, genauer gesagt! Also eine Art Coach für Sexfragen. Eine Sexualberatung kann bei konkreten Fragen, die sich in ein bis zehn Sitzungen lösen lassen, super weiterhelfen. Also jetzt nicht die ganz grossen Kindheitstraumata, aber zum Beispiel: “Wie kann ich lernen, meinem Partner besser zu sagen, was ich brauche?”

Sex ist ein sehr moralisch geprägtes Thema, und es gibt viele Mythen bezüglich Sex. Nicht selten haben Leute deshalb auch Probleme mit ihrer Sexualität. Wie erlebst du das?
Ja, genau so. Wir haben alle aus Schnulzenfilmen und Pornos Bilder davon im Kopf, wie genau Sex, Liebe, Beziehungen idealerweise zu sein haben. Auf der anderen Seite kommen dann noch (religiöse) Erziehung und gesellschaftliche Moral dazu, und übrig bleibt oft vor allem Verwirrung. Verwirrung darüber, wie wir auszusehen haben, wie sich etwas anzufühlen hat, was richtig ist und was falsch. Ich bekomme oft Fragen gestellt, bei denen mein erster Impuls ist: Wow, das denken Menschen echt immer noch?

“Klar wissen wir alle theoretisch, wie es geht. Klar ist dank Tinder und Co. Sex theoretisch so leicht zu bekommen wie man eine Pizza bestellt, und klar tun wir alle wahnsinnig woke. Aber in der Praxis schaut es dann oft noch mal ganz anders aus, was auch ganz normal ist.”

Unsere Gesellschaft wird oft als hypersexualisiert und vermeintlich aufgeklärt bezeichnet. Wie siehst du das?
Ich nenn es mal gefährliches Halbwissen. Klar wissen wir alle theoretisch, wie es geht. Klar ist dank Tinder und Co. Sex theoretisch so leicht zu bekommen wie man eine Pizza bestellt, und klar tun wir alle wahnsinnig woke. Aber in der Praxis schaut es dann oft noch mal ganz anders aus, was auch ganz normal ist: Wenn wir vor einem anderen Menschen nackt sind, gibt es schnell mal Unsicherheiten, man tut vielleicht was, was man gar nicht möchte, weil man sich doch nicht traut, was zu sagen. Wenn man sich aktuelle Zahlen ansieht, haben wir sogar weniger Sex als früher, was vermutlich auch damit zusammenhängt, dass viele von uns sich diesem Leistungsdruck, ständig zu können und wollen zu sollen, wieder entziehen und sich dieses ganze “Herumgedate” eben auch schnell mal ziemlich beliebig anfühlt.

Was würdest du deinem 15-jährigen Ich rückblickend raten?
Du musst erst mal gar nichts und du bist genau richtig so wie du bist! Es ist okay, wenn dich Leute nicht leiden können, du magst schliesslich auch nicht jede*n. Die Pille ist praktisch, aber sie unterdrückt deinen Trieb.

Wir widmen uns ja Themen wie Feminismus und Popkultur. Vorab: Bist du Feministin?
Aber selbstredend!

“Feministischer Sex bedeutet Sex ohne Herrschaftsanspruch, bei dem sich alle Anwesenden wohl und gleichermassen befriedigt fühlen.”

Wenn ja, was bedeutet für dich feministischer Sex?
Sex ohne Herrschaftsanspruch, bei dem sich alle Anwesenden wohl und gleichermassen befriedigt fühlen. Dazu gehören: Gute Kommunikation über die eigenen Vorlieben und Grenzen, Kondome als selbstverständliche Grundvoraussetzung und ein möglichst klar abgesteckter Rahmen, was die Art der Verbindung angeht, in der dieser Sex stattfindet. Sex ist erst dann guter Sex, wenn er sich auch eine Woche später noch wie guter Sex anfühlt. Und: Feminist*innen sind wirklich besser im Bett!

Welchen Einfluss hat Popkultur auf unsere Wahrnehmung von Sex?
Einen grossen! Popkultur trägt entschieden dazu bei, welche Diskurse wir über Sex führen und wie sie geführt werden. Wer weiss, wo wir ohne Sex And The City wären – auch wenn viele der Themen heute schon wieder veraltet und unfreiwillig komisch anmuten. Popkultur beeinflusst unsere Schönheitsideale und somit natürlich, wie wohl wir uns im Vergleich mit diesen in unseren eigenen Körpern fühlen. Wenn mein kompletter Instagramfeed aus gemachten Hintern, Brüsten und Lippen besteht und ich dann auch noch Werbung für Schönheitsoperationen und Detoxtees bekomme, wird es schwierig, sich dem zu entziehen.

Können da Serien wie Girls oder Nola Darling wirklich helfen?
Nola Darling habe ich nicht gesehen, aber an Girls mochte ich die Awkwardness, wie thematisiert wird, dass Dinge auch mal nicht so super laufen, diesen wohltuenden Millennial-Realismus. Die Serie hat meiner Meinung nach entschieden dazu beigetragen, dass nicht-schönheitsgenormte Körper wie der von Lena Dunham medial überhaupt wahrgenommen werden, und hat so die Bodypositivity-Debatte erst mit ins Rollen gebracht. Lena Dunham war auch eine der ersten, die Endometriose öffentlich thematisiert hat, eine Krankheit, bei der die Medizin bis heute extrem im Dunklen tappt, obwohl wirklich wahnsinnig viele Frauen davon betroffen sind. Zuletzt mochte ich die Serie Sex Education – und zwar nicht nur wegen der unglaublich tollen Gillian Anderson, sondern auch wegen der unaufgeregten Beiläufigkeit, mit der vermeintliche Tabuthemen wie Sexting, Coming Out oder Regenbogenfamilien aufgegriffen werden.

“Mein Sex-Tipp? Sich selbst immer wieder fragen: Was will ich eigentlich – und wie bekomme ich es? Den*die Partner*in dasselbe fragen. Handy raus aus dem Schlafzimmer. Beckenbodentraining. Mit niemandem Sex haben, der bei der Verhütung anfängt, rum zu diskutieren. Generell: Sich selbst und allen anderen Anwesenden an jedem Zeitpunkt erlauben, Nein zu sagen und dieses Nein respektieren. Weniger darauf achten, was gut aussieht als darauf, was sich gut anfühlt – keine Pornos nachturnen.”

Wie stehst du zum Sextoy-Hype der letzten Jahre?
Ich weiss, es gibt kritische Stimmen, die sagen, da geht’s ja schon wieder nur um Konsum und von Toys stumpft man ab. Ich sehe das anders: Wenn Frauen, die noch nie einen Orgasmus hatten, dank eines Toys endlich kommen können, ist das doch grossartig, oder? Klar ist es absolut essenziell, sich selbst zu erkunden und den eigenen Körper gut kennenzulernen, aber sich im nächsten Schritt dann auch noch ein Toy dazuzuholen, kann noch mal ganz andere Empfindungen dazu bringen. Und es gibt so unterschiedliche Toys, dass es da nochmal wirklich viel Spannendes auszuprobieren gibt! Ich höre oft “So was brauchen wir nicht” und antworte dann: “Ich brauche auch keine Zartbitterschokolade, aber gut find ich sie trotzdem!”

Und noch zum Schluss: Gibt es von dir noch ein paar heisse Sex-Tipps?
Öfter mal was Neues ausprobieren, auch bei der Selbstbefriedigung! Sich selbst immer wieder fragen: Was will ich eigentlich – und wie bekomme ich es? Den*die Partner*in dasselbe fragen. Handy raus aus dem Schlafzimmer. Beckenbodentraining. Mit niemandem Sex haben, der bei der Verhütung anfängt, rum zu diskutieren. Generell: Sich selbst und allen anderen Anwesenden an jedem Zeitpunkt erlauben, Nein zu sagen und dieses Nein respektieren. Weniger darauf achten, was gut aussieht als darauf, was sich gut anfühlt – keine Pornos nachturnen. Und: Ab und zu die ganzen schlauen Tipps vergessen und einfach Spass haben und geniessen!

Mehr von Theresa könnt ihr auf ihrem Blog www.lvstprinzip.de lesen. Zudem hat sie soeben ihrautobiografisches Buch LVSTPRINZIP veröffentlicht.

Photocredit: Paula Winkler