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Die Gefahr der Liebe

Rahel Fenini

Es ist ein regnerischer und grauer Montagabend, als ich das sphères in Zürich betrete. Eine warme und gemütliche Lokalität – ein Ort der Kreativität; ein Ort, an dem man in andere Sphären eintauchen kann. Ich bin gerne hier – so auch Amanda E. Metzger, die ich an diesem Abend zum Interview treffe, um mehr über ihr Stück, die Performance “Die Gefahr der Liebe” zu erfahren. Zwei Stunden sitzen wir bei Club Mate zusammen und unterhalten uns über Liebe, Sex und Gewalt – die Hauptthematiken von “Die Gefahr der Liebe”. Ganz unverfroren und ehrlich reden wir über die guten und schönen Seiten von Sex; aber auch die unangenehmen, dunklen – ja, schmerzhaften – Facetten davon. Das Gespräch mit Amanda fühlt sich ein wenig an, als würde ich mich mit einer langjährigen Freundin austauschen. Austauschen über Themen, die nicht immer ganz einfach zu diskutieren sind; Themen, die man manchmal lieber umgeht. Vielleicht, weil sie mit Scham besetzt sind? Vielleicht, weil man gar nicht recht weiss, wie man sie in Worte fassen soll? Dennoch tut er gut – der Austausch. Er befreit, verbindet, zeigt auf und regt an. Genau wie “Die Gefahr der Liebe”.

Sag mal, worum geht es bei “Die Gefahr der Liebe”? Was steckt hinter der Performance?
Die Gefahr der Liebe” ist eine zehnminütige Performance, die sich dem Thema sexuelle bzw. sexualisierte Gewalt innerhalb von Paarbeziehungen widmet. Dafür habe ich einen 15-köpfigen Chor aus stöhnenden Frauen* sowie trans und non-binary Personen zusammengestellt. Dieser Chor vertont einerseits einen schiefgehenden Sexualakt, andererseits soll die Performance des Chors die Struktur einer Beziehung, die gewaltvoll endet, nacherzählen.

Eine Performance auf zwei Ebenen sozusagen?
Genau, ja. Zudem spielt auch die Ebene der Musik, das heisst Machtverhältnisse innerhalb der Musik, eine wichtige Rolle. Auch die Musik(branche) ist nach wie vor von Geschlechterstereotypen geprägt und die Rollen sind oftmals ungleichmässig verteilt. So sitzen beispielsweise in einem Orchester zwar viele weibliche Musikerinnen, doch sind die “Drahtzieher” und Entscheidungsträger nach wie vor Männer: Komponisten, Dirigenten und Chorleiter sind nicht selten männlich. Daher habe ich mich auch bewusst dafür entschieden, mit einem männlichen Komponisten und einem männlichen Chorleiter zusammenzuarbeiten, um mit ihnen ihre eigenen Machtpositionen zu reflektieren, aber auch dem Publikum diese Hierarchie vor Augen zu führen.

“Aber es gibt eben auch das Andere. Diese kleinen, fast unsichtbaren Grenzüberschreitungen, die immer wieder stattfinden, bis man irgendwann realisiert: ‘Hey, das finde ich irgendwie überhaupt nicht mehr cool – doch wie ist es überhaupt so weit gekommen?'”

Und wie ist die Partitur aufgebaut? Wie kann man sich das Ganze vorstellen?
Am Anfang der Performance ist es den Sängerinnen* noch freigestellt, wie sie sich ausdrücken möchten. Obwohl es vorgegebene “Stöhnmüsterli” gibt, können die Performerinnen* zu diesem Zeitpunkt noch selbst entscheiden, ob sie diese einhalten oder selbst variieren/verändern möchten. In einem zweiten Teil, der in einem 4/4 Takt erfolgt, wird diese Freiheit nicht mehr (in dieser Art und Weise) gegeben. Das bedeutet, dass der Chorleiter an diesem Punkt auch streng einfordert, dass der 4/4 Takt von den Sängerinnen* eingehalten wird. Obwohl die Sängerinnen* immer noch die Freiheit haben, in den ersten Teil zurück zu fallen – sich zu wehren und zu widersetzen – werden sie vom Chorleiter immer wieder dominiert. Er gibt den Ton an. Dieser zweite Teil soll für die Zuhörerinnen* und Zuhörer* langsam, aber sicher unangenehm werden. Hier ist mir vor allem das “Nahdisnah” wichtig. Der Übergang von “angenehm” zu “unangenehm” soll fliessend passieren, sodass man sich nicht ganz im Klaren ist, zu welchem Zeitpunkt das Ganze wirklich unangenehm wird. Auch in Beziehungen lässt sich dies beobachten. Klar gibt es Beziehungen, die sich abrupt verändern – von einem Tag auf den anderen. Aber es gibt eben auch das Andere. Diese kleinen, fast unsichtbaren Grenzüberschreitungen, die immer wieder stattfinden, bis man irgendwann realisiert: “Hey, das finde ich irgendwie überhaupt nicht mehr cool – doch wie ist es überhaupt so weit gekommen?” Genau diese tausend kleinen Schrittchen, die zu einer Verschiebung der Machtverhältnisse innerhalb einer Beziehung führen, faszinieren mich.

Und wie endet die Performance?
In Stille. Erfahrungen und Erzählungen von Frauen*, die bereits sexualisierte Gewalt erlebt haben, zeigen, dass der Akt ihrerseits oftmals in kompletter Stille erfolgt und auch in dieser endet.

Wow, eine beeindruckende und auch berührende Performance. Wie bist du denn überhaupt auf diese Idee gekommen?
Im Film “Female Pleasure”, den ich letzten Herbst zwei- bis dreimal geschaut habe (lacht), meint Leyla Hussein: “The idea of enjoying sex is a journey. That’s why a lot of women don’t enjoy sex. Just in general. Just ‘cause they hate their bodies. So if you hate your body, you’re tense the whole time. How are you supposed to enjoy it? The amount of women who fake their orgasm, oh my god, oh my, it’s like a choir around the world, like women just ‘Oh, oh, oh’, just like screaming, shouting, pretending they came, they can do it, but no, nothing happens.” Dieses Zitat brachte mich einerseits zum Schmunzeln und führte zur Idee des Chors, andererseits hat es mich dazu bewegt, mehr über die Thematik “Fake Orgasms” herauszufinden. Meine früheren Arbeiten waren schon immer von der Frage nach Machtstrukturen geprägt, sodass auch diese Thematik interessant schien und sich in diesem Kontext verorten liess. Über diese Schiene bin ich dann zum Thema “Sexualisierte Gewalt” gekommen.

Ein extrem breites und vielschichtiges Thema…
Ja, und wie. Und auch ein Thema, das viel Wut mit sich bringt. Während der Recherche habe ich mich oftmals gefragt: “Das ist doch zum Kotzen. Wieso setze ich mich freiwillig mit diesem Thema auseinander? Das Ganze macht mich nur unendlich hässig!” So ist beispielsweise in der Schweiz Vergewaltigung in der Ehe erst seit 1992 strafbar und erst seit 2004 ein Delikt, das auch von Amtes wegen geahndet wird. Unglaublich! Und dann gibt es zahlreiche Studien, die belegen, dass viele junge Personen der Meinung sind, dass Sex prinzipiell für den Mann ist (See: End Violence Against Women, 2019; A Short Report on Public Attitudes to Sexual Ethics and Behavior). Unter anderem ist dies Grund dafür, dass sich viele Frauen* nicht mit ihrer eigenen Sexualität auseinandersetzen, sie nicht wirklich wahrnehmen oder auch ihre Stimme erheben, wenn sich etwas nicht richtig anfühlt. Das Stück ist mein Versuch, das “Ganze” herunterzubrechen und auf den Punkt zu bringen. Ich möchte Aufmerksamkeit generieren und sie auf diese extrem wichtige Thematik lenken. Das Stück soll sagen: “Hey, da ist vieles nicht in Ordnung – und es ist an der Zeit, dass wir darüber sprechen!”

“Eine Beziehung – die grösste Gefahr für Frauen umgebracht zu werden. Liebe – der Ort, wo die Gefahr am grössten ist, physische und psychische Gewalt zu erfahren. Darüber müssen wir sprechen, wir alle.”

Es geht also auch um Enttabuisierung?
Ja, es geht um einen offenen und ehrlichen Diskurs über Liebe, Sex und Gewalt. Sexualisierte Gewalt in Paarbeziehungen ist nicht ein Problem, das völlig losgelöst von uns existiert; eine Sache, die irgendwo weit weg von uns passiert. Sexualisierte Gewalt ist hier, sie ist und geschieht in unserer Nähe. Die Chance, dass sexualisierte Gewalt in deinem Umfeld passiert – bei einer Person, die du sehr magst und die dir am Herzen liegt – ist gross. Nach wie vor kursiert in unserer Gesellschaft die Narrative, dass fremde Männer Frauen in dunklen Gassen vergewaltigen, dass Frauen, die leicht bekleidet sind, auf verlassenen Strassen von fremden Männern in den Busch gezogen werden. Das ist schlichtweg nicht wahr. 93% der Frauen, die sexualisierte Übergriffe erfahren haben, kennen den Täter (See: GFS.Bern, 2019.;Sexuelle Belästigung und sexuelle Gewalt an Frauen sind in der Schweiz verbreitet). Ein grosser Teil der Gewalt passiert in Beziehungen. Das ist beängstigend und muss thematisiert werden. Denn werden Liebe und Beziehungen in unserer Gesellschaft nicht als das Ultimative “gehyped”? Als der sichere Hafen, in dem einem nichts passieren kann? Dennoch stirbt alle zwei Wochen in der Schweiz eine Frau* infolge häuslicher Gewalt (See: Eidgenössisches Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann, 2019; Zahlen zu häuslicher Gewalt in der Schweiz). Eine Beziehung – die grösste Gefahr für Frauen umgebracht zu werden. Liebe – der Ort, wo die Gefahr am grössten ist, physische und psychische Gewalt zu erfahren. Darüber müssen wir sprechen, wir alle.

Weshalb hast du dich entschieden, diese Thematik in einer künstlerischen Auseinandersetzung, in der Form eines Chors, in den Fokus zu rücken?
Ich arbeite sehr gerne mit Dingen, die etwas absurd sind. Absurditäten fordern Menschen heraus. Sie bringen einen dazu, sich auf andere Art und Weise mit Themen zu befassen und sich damit auseinanderzusetzen. Oftmals spielt da eine emotionale Komponente mit, die – zumindest in meinen Augen – mehr Spuren hinterlässt als eine faktische Diskussion.

Hast Du nicht das Gefühl, wir haben im Zuge des feministischen Aufschwungs, des Frauen*streiks, der #metoo-Debatte oder wegen Filmen wie “Female Pleasure” gelernt, offener und ehrlicher über Sexualität und sexualisierte Gewalt zu sprechen?
Im Rahmen des Projektes habe ich natürlich sehr viel über Sex und sexualisierte Gewalt gesprochen. Das hat auch mich oftmals Mut gekostet, sind das ja nicht selten etwas absurde Momente und Situationen (lacht). Ich glaube aber auch, dass ich lockerer über diese Themen reden kann, da ich das Glück hatte, dass mir noch nie sexuelle Gewalt widerfahren ist. Das gibt mir eine gewisse Distanz, eine gewisse Nicht-Betroffenheit. Auch bin ich der Überzeugung, dass Filme wie “Female Pleasure” oder auch Kampagnen von Amnesty International sicherlich dazu beitragen, dass wir offener und öfter über diese Dinge sprechen. Dennoch gibt es noch viele Mauern, die wir durchbrechen müssen. Vielen Personen ist diese Diskussion halt schlichtweg auch zu privat. Nicht wenige Menschen tun sich schwer, über Sex innerhalb einer Beziehung zu sprechen. Wie soll dann der Diskurs über (sexualisierte) Gewalt gelingen?

“Wir dürfen uns nicht nur auf die Opfer und deren Schutz fokussieren. Auch wenn es keine Opfer mehr gibt, wird es immer noch Täter geben. Und nur schon ein Täter kann vielen Personen schaden und diese verletzen.”

Was wünschst du dir also für den weiteren Diskurs?
Oh, unterschiedliche Dinge auf verschiedenen Ebenen. Ich wünsche mir, dass wir vermehrt und vertieft über Machtverhältnisse, Strukturen und das Patriarchat sowie dessen Effekte sprechen. Diesen Diskurs müssen wir sowohl mit Frauen* als auch mit Männern* führen. Sehr oft diskutieren wir nur mit und unter jungen Frauen. Cis-Männer und -Jungs werden in der Diskussion oftmals ausgeschlossen, sie kommen selten zu Wort. Zudem dürfen wir uns nicht nur auf die Opfer und deren Schutz fokussieren. Auch wenn es keine Opfer mehr gibt, wird es immer noch Täter geben. Und nur schon ein Täter kann vielen Personen schaden und diese verletzen. Deswegen habe ich auch einen Frauen*Chor gewählt, der gegen einen einzigen Mann antritt, von diesem aber vollkommen dominiert und schlussendlich “übermannt” wird. Die Täterarbeit und –prävention soll also ebenso im Fokus stehen. Und zu guter Letzt: Niemals aufhören, Geschlechterstereotypen und traditionelle, überholte Rollenerwartungen zu reflektieren

GO & SEE “DIE GEFAHR DER LIEBE”:

  • 15. November 2019, 20.00 Uhr – Cabaret Voltaire, Zürich
  • 23. November 2019, 15.00 Uhr – Bundesplatz, Zug
  • 29. November 2019, 20.00 Uhr – La Datcha, Lausanne
  • 8. Dezember 2019, 12.00 Uhr – Ein Haus pour Bienne, Biel

Photocredit: Amanda E. Metzger
Edit: Lydia Perrot