Der heutige Feminismus ist genauso bunt, spannend, nervenaufreibend, aufwühlend – und ehrlich, wie die Geschichten und Ansichten im Buch “Feminists don’t wear pink and other lies”.
Wäre ich vor zehn Jahren gefragt worden, ob ich eine Feministin bin, hätte ich mich herausgeredet, dass ich natürlich für Gleichberechtigung bin und viele Anliegen von Feministinnen unterstütze – aber ganz ehrlich, ich hätte nicht getraut, mich als Feministin zu bezeichnen. Es war ein Begriff, der eher negativ konnotiert war. Zudem: Ich war bei der ersten und zweiten Welle nicht dabei, ich musste in den 70er-Jahren nicht für das Frauenstimmrecht kämpfen – wie auch, ich war ja nicht mal auf der Welt. Ich habe mich während meines ersten Praktikums beim Radio nicht mal getraut, meinem Vorgesetzen die Meinung zu sagen, obwohl er sexistische Sprüche klopfte. Und bei meiner ersten Festanstellung habe ich mich nicht für mehr Lohn ausgesprochen, obwohl ich wusste, dass meine Arbeit mehr wert war. Dass ich mehr wert war. Vor zehn Jahren war ich eine miese Feministin – und die damalige Literatur war mir keine grosse Hilfe.
Natürlich bin ich privilegiert aufgewachsen, Feminismus war kaum ein Begriff in meiner Kindheit oder Jugend. Ich kam zu einer Zeit auf die Welt, als ein grosses Stück des Wegs bereits geebnet war. Ich musste quasi nur meine Birkenstocksandalen finden, losrennen und in die Parolen einstimmen. Aber auch damals, ohne mein heutiges Wissen, schlug mein Herz für Geschichten unkonventioneller, starker Frauen. Ich mag mich erinnern, wie mir meine Grosstante Geschichten erzählte von einer Zeit, die ich mir kaum vorstellen konnte. Sie war um die 20er-Jahre geboren, zu ihrer Schulzeit war es Mädchen verboten Hosen zu tragen. Als sie es doch wagte, in Hosen auf dem Schulhausplatz aufzutauchen, bekam sie eine heftige Strafe. Auch später widersetze sie sich manchen gesellschaftlichen Normen. Sie heiratete nie, natürlich spekulierten in der Familie alle darüber, wieso sie nie einen Mann fand. Mir gefällt der Gedanke, dass auch das einfach ein rebellischer Akt von ihr war.
Wenn ich an den Frauenstreik vom 14. Juni 2019 zurückdenke, bekomme ich immer noch Gänsehaut, ich bekomme Tränen. Es war der erste Tag in meinem Leben, der mir das Gefühl gab, bei etwas wirklich Grossem, etwas Ehrlichem, etwas historisch Wertvollem und verdammt Wichtigem dabei zu sein.
Heute ist es manchmal schwierig den Überblick zu behalten, für was wir eigentlich kämpfen. Wenn ich an den Frauenstreik vom 14. Juni 2019 zurückdenke, bekomme ich immer noch Gänsehaut, ich bekomme Tränen. Es war der erste Tag in meinem Leben, der mir das Gefühl gab, bei etwas wirklich Grossem, etwas Ehrlichem, etwas historisch Wertvollem und verdammt Wichtigem dabei zu sein. Der Tag relativierte einige fragwürdigen Entscheidungen in meinem Leben – als Tochter, als Schwester, als Freundin, als Arbeitskollegin und als Mensch. Denn die Summe meiner Taten, Handlungen, Gespräche und Gedanken haben mich hierhin gebracht, an den heutigen Tag, wo ich diese Zeilen tippe und mir Gedanken mache, was für eine Frau – was für eine Feministin – ich sein möchte.
Diese Frage ist nicht immer leicht zu beantworten. Und auch wenn wir alle uns als Feministinnen bezeichnen, so sind unsere individuellen Ansichten, unsere Beweggründe, unsere Erfahrungen oftmals sehr unterschiedlich. Ich für meinen Teil, möchte mich nicht rechtfertigen müssen, für die Art, wie ich lebe und wie ich meinen Feminismus zelebriere – und das Gleiche wünsche ich allen anderen. Deshalb möchte ich das Buch von Scarlett Curtis “Feminists don’t wear pink and other lies” jeder und jedem ans Herz legen. Sie hat über 50 Frauen aus Kultur, Unterhaltung und Politik dazu bewegen können, ihre persönliche Sicht auf Feminismus aufzuschreiben, und hat es in diesem Buch gesammelt. Das Buch offenbart nicht nur tragische Einblicke in die Vergangenheit vieler dieser Frauen, die diskriminiert, missbraucht oder rassistisch behandelt worden sind, sondern lässt dank vieler weiblichen Vorbilder auf eine bessere Zukunft hoffen. Eine Zukunft in der es nicht darum geht, was man nach Aussen trägt, sondern wer man im Innern ist. Und es lässt uns mit vergangenen feministischen Ansichten Frieden schliessen, die wir heute nicht mehr vertreten können oder wollen.
Wir müssen uns endlich wieder darauf besinnen, auf was es hier eigentlich ankommt – ob in Highheels, im selbstgestrickten Pulli oder oben ohne.
Unser Feminismus ist genauso bunt wie die Geschichten und Ansichten dieser wunderbaren Frauen. Unser Feminismus funktioniert nicht nach dem Ausschlussprinzip. Wir müssen aufhören mit dem Schwarz-Weiss-Denken, wir müssen aufhören, bei anderen Fehler zu suchen und wir müssen aufhören, eine Definition zu finden, die allgemeine Gültigkeit beansprucht. Wir müssen uns endlich wieder darauf besinnen, auf was es hier eigentlich ankommt – ob in Highheels, im selbstgestrickten Pulli oder oben ohne.
Das Buch ist ein Manifest und meiner Meinung nach, eine Pflichtlektüre für alle Schülerinnen und Schüler, denn es zeigt wie vielschichtig und tief unser Feminismus geht und wie kaputt unsere Gesellschaft in mancher Hinsicht noch immer ist. Das Buch ist ein Potpourri aus Prosa, Erfahrungsberichten, Essays, Listicles und Tipps. In vielen Gedanken konnte ich mich wiederfinden, wie etwa bei der Sängerin Alison Sudol, die schreibt: “(… ) Und deshalb sind wir als gute Feministinnen meiner Meinung nach nicht nur für unsere eigene Entwicklung verantwortlich, sondern auch für die der zukünftiger Männer, die einmal an der Seite der zukünftigen Frauen stehen werden.” Und sie nimmt vielen Frauen den Druck, dass man alles richtig machen muss, um Teil dieser Bewegung zu sein.
Andere Texte haben mich tief berührt, wie der Zeitraffer von Trans-Aktivistin Charlie Craggs. Sie beschreibt knapp aber unverblümt ehrlich ihre Reise durch eine verwirrte Kindheit und eine von Schikanen gekennzeichnete Jugend, bis sie mit Siebenundzwanzig endlich zu dem Mädchen wurde, als das sie hätte geboren sein sollen. Im wundervollen Essay von Aktivistin Trisha Shetty finde ich Mut, ebenfalls meine Stimme zu erheben, denn sie spricht aus, was vielen von uns immer wieder auf der Zunge liegt: “Ich nehme Anstoss an jenen, die meinen, die feministische Bewegung kritisieren zu müssen, und dabei selbst nicht das Geringste getan haben, um die Zeiger auf Gleichberechtigung zu stellen.”
Andere Texte geben Denkanstösse, wie der von Journalistin und Herausgeberin des Buchs, Scarlett Curtis. Sie fasst nicht nur die wichtigsten Zahlen zusammen, sondern gibt allen Feministinnen Nachhilfe, die noch ein wenig an ihrer Schlagfertigkeit feilen müssen. Ihre Antworten auf alltäglich gestellte Fragen zum Thema Feminismus sind genauso witzig, wie pointiert und beweisen, dass der heutige Feminismus mit einer unprätentiösen Lockerheit nach Aussen getragen werden muss – ob unter Freunden, am Familienfest oder in der WC-Schlange im Restaurant. Weil eine gleichberechtige Gesellschaft keine schöne Vorstellung, sondern längst Realität sein sollte.