“Das ist das Grossartige an diesen Musik-Zeitlöchern: Du kannst dich der Freiheit völlig hingeben”: Unsere #heroine Esther Silex
Cécile Moser
Für unsere PARTY ISSUE haben wir keine geringere #heroine gewählt als eine, die genau diesen Ort des Geschehens beherrscht: Parties, Techno-Clubs und die Turntables. DJane und Producerin Esther Silex steht für ein Lebensgefühl, dass wir Frauen uns noch viel mehr haben sollten: Wirkliche Freiheit, das zu tun, was wir wollen.
Was bedeutet Freiheit für dich?
Freiheit im Herzen, im Kopf und auf der Strasse. Es bedarf ganz viel Stärke und Liebe und Willenskraft, um gegenwärtige gesellschaftliche Strukturen, Muster und Zwänge beim Namen nennen zu können und schliesslich für sich zu realisieren, auf welche Art und Weise man sein Leben führen möchte und gegen welche dieser Regeln man vorgehen muss. Freiheit heisst, sich selber und seine Bedürfnisse zu kennen, und nach diesem Gefühl sein Leben auszurichten. Freiheit heisst, dass ich Entscheidungen treffe, die nicht hauptsächlich von den Mustern und Bedürfnissen aus meiner Kindheit geprägt sind. Freiheit heisst, sich selbst zu lieben und sich selbst genug zu sein. Freiheit heisst auch Einsamkeit, lieber alleine sein, als gegen seine Prinzipien verstossen. Freiheit ist nicht einfach. Freiheit muss man aushalten!
Im Podcast von Feuer&Brot sprichst du über deine Kindheit und deine Eltern, und dass du mit grosser Offenheit und viel Freiheit erzogen wurdest. Wie hat sich das auf dich ausgewirkt? Würdest du deine Kinder auch so erziehen?
Ich würde meine Kinder sofort genauso erziehen. Wir sind zu viert die ersten Jahre auf der Strasse und mit Unterricht zu Hause grossgeworden. Kinder wollen von sich aus irgendwann lesen, schreiben und rechnen lernen. Das muss man ihnen nicht vorschreiben. Wenn man es den Kindern überlässt selber zu entscheiden, wann ein bestimmtes Thema thematisiert und erlernt wird, dann kommt der Wille aus dem Bauch heraus, man ist mit vollem Herz dabei.
Welche Rollen spielen da auch Institutionen wie Staat und Schulen?
Ich bin eine grosse Verfechterin des Grundeinkommens. Hätten wir alle monatlich einen Mindestbetrag zum Leben und müssten uns nicht darum kümmern, dass wir ein Dach über dem Kopf haben und was zu Essen auf dem Tisch, dann würden viel mehr Menschen die Zeit und Musse haben, in sich reinzuhören und zu erkennen, worauf sie wirklich Lust haben, was sie gerne lernen würden und womit sie ihre Lebensjahre verbringen wollen. Es ist eine Schande, dass manche Menschen in einem so reichen und fortgeschrittenen Land wie Deutschland nicht wissen, ob sie die nächste Nacht in einem ordentlichen Bett verbringen können, oder ob das Geld dazu nicht reicht. Wir haben das Geld, stecken es aber lieber in milliardenschwere Aufrüstung. Wir lassen die Bildung links liegen, indem wir das ganze Schulsystem nicht zur Priorität machen. Kinder sind unsere Zukunft! Es kann nicht sein, dass sie nicht unsere Top-Priorität sind. Therapie-Plätze für Kinder würden uns in späteren Jahren viel Ärger auf grosser Ebene ersparen. Es gibt so viel, dass man tun kann, wenn man die Augen aufmacht und sich nicht darauf versteift, sich mit seinem Nachbarn zu vergleichen.
Bereits mit 17 Jahren kamst du zur Musik. Was hat dich daran fasziniert, und welche Bedeutung hat Musik heute in deinem Leben?
Musik ist alles für mich. Ich kann mich den Soundwellen völlig hingeben und tagelang nichts anderes tun als Musik hören und in Musik schwelgen. Schon früher lief immer Musik bei uns zu Hause. Meine Eltern hatten Clubs und Bars und verschiedene Etablissements bei denen Musik zur Grundausstattung gehörte, somit brachten sie auch immer Platten nach Hause und ermöglichten es uns vier Kindern mit einem wirklich grossartigen und breit gefächerten Musikrepertoire aufzuwachsen.
Was ist das für ein Gefühl, hinter den Turntables zu stehen und mit seiner Musik die Meute zu lenken oder zu verführen?
Es ist grossartig, meine Perspektive auf das Leben durch meine Musik mit so vielen tanzenden Menschen teilen zu können; mein Publikum gleichzeitig abzuholen, auf eine neue Reise mitzunehmen und zu neuen Gedankenstrukturen zu inspirieren.
Was rätst du jungen Frauen, die ebenfalls mit dem Gedanken spielen, DJane oder Producerin zu werden?
Los geht’s! Das Einzige, was ich raten kann ist: Befasse dich lange mit Musik und finde deinen eigenen Stil. Jede und jeder kann die Technik beherrschen, doch nur wenige befassen sich intensiv genug mit der Materie, um eine eigene Linie zu finden. Ganz wichtig ist auch, dass du dein Publikum an deinen Emotionen teilhaben lässt. Dann kannst du machen was du willst, denn du bleibst transparent – und das ist sexy und stark!
Du bist auch oft in Lateinamerika unterwegs und sagst, dass dich die Göttin Mutter Erde der indigenen Anden-Kulturen stets begleitet. Wie kam es zu dieser Faszination und was bedeutet sie genau?
Ich war schon immer sehr natur- und erdverbunden, das heisst Pachamama – so ihr Name – war stets an meiner Seite. Sie ist eine südamerikanische Naturgöttin, in der sich alles trifft, Ober- wie auch Unterwelt. Göttinnen verschiedener Kulturen haben mich schon lange begleitet. Mit Isis, der ägyptischen Göttin der Geburt, der Wiedergeburt und allem der Magie fühle ich mich ebenfalls tief verbunden.
Was können wir in deinen Augen von indigenen Völkern lernen bzw. haben wir derweil verlernt?
Dass wir Rudeltiere sind, die gemeinsam im Boot sitzen. Wir haben uns dahin bugsiert, in Klein-Familien, Einzimmerwohnungen und grossen, grauen Städten zu leben. 2 Eltern, 1 Kind. Wehe dem, der sich bei der Erziehung einmischt. Indigene Völker sitzen viel öfter in grossen Runden zusammen, besprechen gemeinschaftlich individuelle Anliegen. Weil sie ihren Emotionen und Gedanken eine angemessene Bühne geben, wird den meisten Sorgen die Dramatik genommen. Mehr teilen, mehr reden, mehr kommunizieren, was in uns passiert. Das können wir von den indigenen Völkern lernen.
Wenn man sich das, was im Netz etc. von deinem Leben ersichtlich ist, anschaut, denkt man es wäre ein bunter Wirbelsturm aus Party, guter Musik, coolen Leuten, Konfetti und durchgetanzten Nächten… Wo hört diese Esther auf, und wo fängt sie an?
Fängt alles im Bett an und hört genau dort auch wieder auf. Ziemlich gute Kraftquelle, das Schlafen!
“Es gibt wenige Orte, an denen wir ganz wir selbst sind und niemandem eine Rolle vorspielen. Im Club, beim Tanzen kann ich mich fallen lassen und muss niemandem etwas beweisen.”
Du bist Teil einer gewissen Party-Welt, einer gewissen Szene, wenn man das denn so nennen kann: Katerblau, Fusion-Festival etc. – Was denkst du, was macht die Faszination dieser Welt aus?
Techno wurde erfunden, damit wir alle eins sind – unter dem Beat auf der Tanzfläche. Wir sind alle eins, egal, wer du bist – ob hell, dunkel, schwul oder trans – egal woher du kommst, egal wohin du gehst. Das ist das Grossartige an diesen Musik-Zeitlöchern. Du kannst dich der Freiheit völlig hingeben.
In diesem Zusammenhang ist für mich Sehnsucht auch immer ein zentrales Thema. Was sind deiner Meinung nach die grössten Sehnsüchte von Menschen, die eben gerne solche Orte besuchen?
Liebe ist unsere grösste Sehnsucht. Darin findet sich auch der Wunsch wieder, mit seinem ganzen Sein anerkannt, gesehen, und gehört zu werden. Es gibt wenige Orte, an denen wir ganz wir selbst sind und niemandem eine Rolle vorspielen. Im Club, beim Tanzen kann ich mich fallen lassen und muss niemandem etwas beweisen. Tanzen ist für mich therapeutisch. Augen zu und den Beat spüren. Wir kennen es alle, wenn nichts anderes nebenher existiert. Ein grossartiges Gefühl.
Was bewegt dich sonst noch im Leben? Welche Sachen stimmen dich nachdenklich oder machen dir Sorgen?
Mich bewegt gerade die Klimakrise. Ich fühle mich schlecht, an einem Freitag nach Ibiza zu fliegen und am selben Tag wieder zurück, um aufzulegen.. Ich mache zwar immer bei Atmosfair mit, um meine Treibhausgasemissionen zu kompensieren und fliege auch nicht mehr innerhalb Deutschlands, doch reicht das einfach nicht mehr aus. Ich bin gerade dabei eine Petition zu starten, die sich für ein Gesetz stark macht, dass jeder in Deutschland gemeldete Mensch 100 Bäume pflanzen muss. Wenn jeder soviel pflanzt und wir mehr Bäume haben, die das C02 aus der Luft speichern, gewinnen wir Zeit, um das eigentlich Problem, das heisst die gefährlichen Gase auf Null reduzieren zu können.
Du unterrichtest auch Yoga. Was gibt dir das?
Vor einigen Jahren, das war noch in Köln, bin ich kurz nach Silvester zu einer Yogastunde bei mir um die Ecke gegangen. Der Lehrer fing die Stunde mit folgender Frage an: “Überlege, was dich im Leben glücklich und zufrieden stimmt und lasse diese Tätigkeit immer mehr Platz in deinem Leben einnehmen. Manchmal geht das nicht von heute auf gleich. Man kann sich jedoch damit ganz gut Ziele setzen.” Ich überlegte, und da fiel mir Musik und Yoga ein. Damals habe ich nur für mich selber praktiziert, schon seit etlichen Jahren, hatte jedoch nie überlegt, dieses Gefühl, das mir Yoga gibt, auch auf grösserer Ebene teilen zu können. Kurz darauf bin ich nach Indien geflogen und habe eine sechsmonatige Yoga-Ausbildung absolviert. Seitdem würde ich mich nicht als Lehrerin, sondern als Guide bezeichnen. Ich teile meine Praxis mit meinen Schüler_innen. Dies befriedigt und erfüllt mich ungemein.
“Esther, du bist verantwortlich für dein Leben, du bist die Autorin deiner Welt. Du kannst entscheiden, ob es dir gut oder schlecht geht, du entscheidest mit welchem Gefühl du deine Tage durchlebst.“
Du wirkst, wie zu Beginn schon erwähnt, sehr befreit, ausgeglichen und im Einklang mit dir, deiner Umwelt und dem Leben. Empfindest du das selber auch so?
Unbedingt empfinde ich das auch so! Letztens hat jemand ganz schön gesagt: “Mit beiden Beinen fest im Leben schwebend.” Das beschreibt mich ganz gut. Als ich noch relativ jung war, sagte mein Vater zu mir: “Esther, du bist verantwortlich für dein Leben, du bist die Autorin deiner Welt. Du kannst entscheiden, ob es dir gut oder schlecht geht, du entscheidest mit welchem Gefühl du deine Tage durchlebst.“ Ich weiss noch ganz genau, wie ich die Küche verlassen habe, und sich diese Zeilen in mein Herz gebrannt haben. Ich versprach mir damals, dass es mir gut gehen würde, dass ich ein warmes Leben haben würde, komme was wolle. Seitdem habe ich ein unglaubliches Urvertrauen in das, was ist. Es wird schon richtig sein, und wenn’s nicht richtig ist, kommt noch was.
Von welchen Zwängen sollten sich Frauen noch mehr befreien?
Von dem Zwang, dem Mann gleich zu sein. Wir sind grossartig, voll und rund in unserer Einzigartigkeit als Frau!
Gibt es Vorbilder oder Frauen, die dich beeindrucken?
Sade beeindruckt mich mit ihrer konstanten Authentizität, die sie ausstrahlt. Freddy Mercury und George Michael genauso. Und am wichtigsten sind die Frauen in meinem Leben, um mich herum, die es schaffen, ihr Ding zu machen und sich nicht von männlichem, ego-orientiertem Verhalten oder Zickenkriegen klein machen lassen.
Und zum Schluss: Was ist dein Mantra? Was möchtest du unseren Leser_innen mit auf den Weg geben?
Egal wen du heiratest, liebe dich selbst.
Esther Silex auf Soundcloud und Instagram <3
Photocredit: Carolin Saage und Esther Silex’ Instagram