Boys IssueZeitgeist

To All The Boys I Will Ever Love

Rahel Fenini

Ich bin Rahel. Ich bin 28. Ich bin Tochter, Schwester und Freundin. Ich bin Nichte und Enkelin. Ich bin aufgeschlossen, unabhängig und stark. Ich bin sensibel und empathisch. Manchmal denke ich zu viel; manchmal sprudeln die Worte nur so aus mir raus.
Ich bin Frau. Ich bin Feministin.

Mein Feminismus kam mit der Zeit, mit den Erfahrungen, mit dem Blick tief ins Innere und dem Blick weit nach aussen. Mein Feminismus kam, als ich in den Reihen eines Vorlesungssaales an der Universität Zürich sass und den Worten meines Dozenten lauschte, der uns von der Krise der Männlichkeit erzählte. Mein Feminismus kam, als ich in die Geschichte des jungen Billy Elliots eintauchte, der in einem armen, englischen Arbeiterviertel wortwörtlich aus den Reihen tanzt; als ich mich mit dem Männlichkeitsbild der roughen, und dennoch zerbrechlichen Hooligans in Nick Love’s The Football Factory auseinandersetzte.

Mein Feminismus kam also mit dem Studium, mit einer popkulturellen Welt, die mir – oft männliche – Charaktere und Geschichten präsentierte, die ich bisher so nicht kannte. Doch damit nicht genug. Mein Feminismus entstand vor allem durch die Auseinandersetzung mit Stereotypen, engen, einschränkenden Rollenbildern, die uns sowie die Protagonisten in diesen Erzählungen tangieren, prägen und unser Sein und Tun beeinflussen. Mehr und mehr wurde mir bewusst, dass uns ganz unterschiedliche äussere Zwänge und Vorstellungen, wie eine Frau oder ein Mann zu sein hat, (meist unbewusst) lenken und uns ein Leben leben lassen, das wir uns vielleicht – bei vollkommener Loslösung von strukturellen und gesellschaftlichen Normen – nicht ganz so ausgemalt hätten. Bilder und Ideen, die uns, wenn wir ihnen nicht entsprechen, ausgrenzen, “anders” und “nicht ganz normal” aussehen lassen.

Diese Erkenntnis erlangte ich jedoch nicht nur in Vorlesungssälen und Bibliotheken, sondern auch in meiner Familie und in meinem Freundeskreis; in meinen Begegnungen und Beziehungen mit und zu Männern.

Ich denke an den Jungen, der den Mut hatte, sich diesen starren Vorstellungen des Mann-Seins zu widersetzen und sein Geschlecht, und damit sein Selbst, eigens zu definieren. Als wäre es erst gestern gewesen, sehe ich die anderen Jungs vor mir, wie sie ihn belächeln und ihn auf Grund seiner non-normativen und non-geschlechterkonformen Art und Weise stigmatisieren.

Und ich erinnere mich an Ihn. Er, der mein Herz hatte. Und dies obwohl er in der Vorstellung einer einzig echten heterosexuellen Männlichkeit so gefangen war, dass er diese gegen jegliche anderen Formen abzusichern versuchte, und so “Grenzüberschreitungen” mit bösen Worten und Drohungen sanktionierte. Er, der unter der harten Schicht selbst haderte, unsicher war und so viele offene Fragen hatte. Er, mit dem ich gemeinsam so viel verändern und herausfordern konnte; Bilder im Kopf und Einstellungen inklusive. Wieso er anfangs so reagierte? Vielleicht, weil ihm seine Männlichkeit als absolut vorgelebt wurde. Die Männlichkeit, die ihn erst zum Mann macht, als “richtigen” Mann auszeichnet und ihm einen dominanten Platz in der sozialen Ordnung verschafft. Andere Formen von Männlichkeit wurden womöglich als eine Art Bedrohung seiner eigenen Position angesehen, und mussten dementsprechend unterdrückt werden.

Beide sind mir bis heute im Gedächtnis geblieben. Wahrscheinlich weil sie beide – jeder auf seine eigene Art und Weise – mit Rollenstereotypen und scheinbar unveränderbaren Vorstellungen vom Geschlecht “Mann” zu kämpfen hatten. Einen Kampf, den die Brüder, Söhne, Neffen und Enkel dieser Welt hoffentlich irgendwann nicht mehr kämpfen müssen.

Nicht zu guter Letzt war es auch der Blick zurück zu mir, der zu diesem Bewusstsein beitrug. Als ich mein eigenes Leben, meine eigenen Beziehungen sowie die Art und Weise, wie ich Dinge tue, sage oder mir zutraue, etwas genauer unter die Lupe nahm, stellten sich mir vermehrt Fragen wie: Wieso verhalte ich mich in gewissen Situationen so und nicht anders? Benehme ich mich so, weil dies von mir als junge, heterosexuelle, weisse Frau in diesem Moment verlangt wird? Wer macht die Regeln, und wie befreie ich mich aus diesem sozialen Korsett, das mir lediglich auf Grund meiner Genitalien aufgezwungen wurde?

Ausgehend von diesen Erfahrungen und Erkenntnissen kristallisierte sich dann auch meine Definition von Feminismus heraus: Feminismus = das Aufbrechen von Geschlechterstereotypen und -normen, die auf einer viel zu banalen, traditionellen Vorstellung einer Frau-Mann Dichotomie beruhen. Feminismus als eine Bewegung, die sich Aussagen und Einstellungen wie “Du bist eine Frau, du hast dich so zu verhalten!”, “Jungs weinen nicht!” und “Das ist aber gar nicht männlich von dir!” widersetzt, und so Menschen die Freiheit gibt, ihr soziales Geschlecht, ihr Gender, selbst zu definieren und auszuleben.

Eine inspirierende junge Frau, die ich einmal für fempop interviewen durfte, vervollständigte diese Definition für mich noch zusätzlich, als sie meinte: “Für mich ist Feminismus das Bestreben, der Abwertung von Weiblichkeit entgegenzuwirken.” Was dies bedeutet, fragst Du Dich? Ich denke, sie meinte damit, dass Attribute, die wir heute in unserer Gesellschaft als “typisch weiblich” ansehen, nicht mehr als minderwertig, schwächer oder sogar verweichlicht wahrgenommen und kommuniziert werden, sondern lediglich als das was sie sind: Gemütszustände, Gefühle, Emotionen, Arten und Weisen, mit Dingen umzugehen. Ist es uns möglich, diese Definition umzusetzen, sie Realität werden zu lassen, dann können wir auch den Billy Elliots dieser Welt, ihren Vätern, den tough lads wie Tommy und Rod oder den jungen Männern, die mich auf so unterschiedliche Art und Weise berührten, eine Wirklichkeit schaffen, die ihnen mehr Freiheit gibt “Mann zu sein”.

Damit dies gelingt, braucht es uns beide – es braucht uns alle. Denn das ist Feminismus, das ist der Kampf für Gleichstellung. Feminismus ist eine gemeinsame Sache, ein Unterfangen, dessen Ziele wir nur Hand in Hand, mit viel Offenheit und Mut erreichen können. Erst wenn wir gemeinsam in den Diskurs treten, uns austauschen und zusammen unsere Bilder im Kopf reflektieren, können wir wirkliche Veränderung schaffen. You in?