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Mr. Big, Bye – Warum wir auf Netflix realistische Männer sehen wollen

Rahel Zingg

Liebe Sex And The City Fans: Mr. Big ist ja gar nicht so Big. Netflix zeigt, dass das auch anders geht.

Wie würden wir und unsere Freundinnen einen grossen Mann nennen, der immer Unerreichbarkeit suggeriert, nicht möchte, dass du deine Sachen in seiner – seinem Lifestyle entsprechenden – Junggesellenwohnung deponierst und seine Gefühle nicht zeigen kann? Nun, vermutlich würden wir ihm keinen Namen geben, der ihn noch grösser erscheinen lässt, als er ist. Sex And The City gab ihm jedoch den Namen Mr. Big. Dabei verfügt er über die Attribute, die per Definition eine kulturelle und gesellschaftliche Vorstellung von Männlichkeit repräsentieren, die schädlich sind. Denn gemäss dieser wird es nämlich als unmännlich empfunden, Gefühle oder gar Schwäche zu zeigen.

Trotzdem scheint sich ein Grossteil der Romantic Comedys genau auf diesen Typ Mann geeinigt zu haben. Egal, ob sich der Protagonist nun wie in Mad Men Don Draper (kreativer Gentleman, aber bescheuert) oder wie in Gilmore Girls Logan (bescheuerter Typ, der sich nicht mal tarnt) nennt. Sie alle vereint ein respektabler Kontostand und eine genauso dicke Attitüde. Genau aus diesem Grund feier ich Serien wie Love. Und auch aus diesem Grund ist Queer Eye (ebenfalls Netflix-Produktion) so berührend.

Einfach nette Menschen
Wenn man Mickey und Gus in der “Unromantic Comedy” bei ihrem Versuch beobachtet, den täglichen Struggle mit einer funktionalen Beziehung in Einklang zu bringen, kommt man den Protagonisten sehr viel näher, als Mr. Big in seiner vorbeirollenden Limousine. Der Hauptprotagonist ist schmal, blass und in seinem hyperspezialisierten Popkultur-Kanon so verloren, dass er mit Gleichaltrigen im Grunde überhaupt nicht mehr sprechen kann. Mickey hingegen ist charmant und redegewandt und glaubt auf ziemlich unglamouröse Weise an gar nichts mehr. Sie ist nicht aus freiem Willen Nihilistin, sondern aus Notwehr.

Das Gute an Love ist nicht nur, dass Frauen weder das eine noch das andere Klischee sein müssen, sondern auch mehr anziehend finden als ein weiteres Abziehbild von Mr. Big. “Echte Boyfriends” mit denen man den Status definieren sollte, rücken dank Love etwas aus der Peripherie.

Auch Männer sehnen sich danach, einfach umarmt zu werden
Wie stark dieses Bedürfnis nach Echtheit auch bei Männern ist, kann man auch in der Queer Eye sehen, von der bislang zwei Staffeln existieren. Vordergründig ist es eine klassische Make-over-Doku, in der fünf homosexuelle Männer einen unglücklichen Hetero besuchen, um ihn auf Vordermann zu bringen, um ihm zu zeigen, wie man sich ordentlich anzieht und die Haare macht, wie man eine Guacamole zubereitet (wir warten noch auf die wirklich erleuchtenden Rezepte von Koch Antoni ((aber das ist eine andere Geschichte)) und die Wohnung putzt.

Die emotionale Stärke der Show zeigt sich jedoch immer in dem Moment, in dem der besagte Hetero in Tränen ausbricht und seinen Mentoren in die Arme sinkt. Ich wage die These aufzustellen: Das passiert nicht etwa wegen des Umstylings, sondern weil ihm fünf Männer ein paar Tage lang völlig ohne Ironie und ganz distanzlos durchs Haar gewuschelt, ihn ständig umarmt und ihm immer und immerzu gesagt haben, wie “gorgeous” und “handsome” er ist. Es ist Verblüffung über dieses Mass an liebevoller, körperlicher Zuwendung.

Netflix macht momentan also einiges richtig. Geschlechterrollen müssen aufgearbeitet werden. Des Internets neuer Boyfriend ist nicht mehr der sexy Hollywood Hulk. Time’s Up für den Mainstream-Helden. Auf das in der Pop-Kultur noch viele weitere solcher Beispiele folgen und dieses diversere Männlichkeits-Profil damit aus der Nische in den Mainstream befördert.