CultureHolistic IssueTheatre + Performance

All About Gender

Rahel Fenini

Die Ausstellung “GESCHLECHT. Jetzt entdecken” beleuchtet die Kategorie Gender auf fabelhaft bunte und aufregende Art und Weise und zeigt auf, wie wichtig es ist, dieses Thema ganzheitlich und aus den unterschiedlichsten Perspektiven anzugehen. Sibylle Lichtensteiger, die seit 20 Jahren die Kulturinstitution Stapferhaus leitet, ist mit fempop ins Gespräch getreten.

Sibylle, das Stapferhaus hat sich in den vergangenen Jahren mit seinen interaktiven erlebnisreichen Ausstellungen zu wichtigen Gegenwartsthemen einen Namen gemacht. Nach “FAKE. Die ganze Wahrheit” habt ihr Anfang November die Ausstellung “GESCHLECHT. Jetzt entdecken” eröffnet. Weshalb habt ihr euch für dieses Thema entschieden?
Für das Thema sprachen gleich mehrere gute Gründe. Erstens: Es betrifft uns alle, und zwar ein Leben lang – von der Geburt bis zum Tod! Zweitens: Hinsichtlich des Verhältnisses der Geschlechter und der Vorstellungen von Geschlecht verändert sich gerade vieles. Die Veränderungen bringen viele Chancen, schaffen aber auch Spannungen und eine Polarisierung der Debatte. Das ist sicher mit ein Grund, warum wir beim Thema “Geschlecht” im ersten Moment weniger an ein lustvolles Zusammenleben denken, sondern eher an eine “Kampfzone”. Den einen ist das Thema extrem wichtig, andere wollen nichts davon hören. Sobald man hier wie da nach den Gründen fragt, kommen aber spannende Geschichten an die Oberfläche. Sie führen von den verhärteten Fronten ins Gespräch und mitten ins Leben. Uns hat es gereizt einen Ort zu schaffen, der Gespräche und damit auch Verständigung fördert.

Die Ausstellung versteht den Begriff “Geschlecht” in all seinen Dimensionen.

Welchen Facetten der so breiten und vielfältigen Thematik “Geschlecht” werden in der Ausstellung auf den Grund gegangen?
Die Ausstellung versteht den Begriff “Geschlecht” in all seinen Dimensionen: Vom biologischen Geschlecht über Geschlechts-Identität und -Ausdruck bis zur sexuellen Orientierung. Sie fragt nach dem Zusammenhang zwischen Geschlecht und “Macht und Ordnung”, “Rolle und Arbeit”, “Körper und Schönheit” und “Liebe und Sexualität” und wirft dabei auch einen spannenden Blick in die Jahrtausende alte Geschlechter-Geschichte.

“GESCHLECHT. Jetzt entdecken” heisst es ab dem 1. November 2020 im Stapferhaus in Lenzburg!
Let’s Talk About Sex, Baby!

Wie habt ihr sichergestellt, dass das Thema ganzheitlich angegangen wird?
Wie immer, wenn wir uns an ein neues Thema setzen, starteten wir mit einer sehr breiten Recherche und führten Gespräche mit vielen unterschiedlichen Fachpersonen – Vertreter:innen von Interessensverbänden, Beratungsstellen und unterschiedlichsten Studiengängen. Konkret heisst das, von den Genderstudies über die Erziehungs- bis zu den Geschichtswissenschaften, vom Transgender-Netzwerk über das “Mannebüro” bis zur “alliance F”. Wichtig ist uns bei den Recherchegesprächen auch der Austausch mit dem breiten Publikum: Von den Berufsschüler:innen bis zur Grossmutter – welche Themen und Erfahrungen verbinden sie mit dem Thema “Geschlecht”?  Zudem hatten wir mit Anna Rosenwasser (Co-Geschäftsführerin Lesbenorganisation Schweiz), Audrey Aegerter (Präsidentin und Mitbegründerin InterAction Suisse), Silvia Binggeli (ehem. Chefredaktorin Annabelle) und Henry Hohmann (Mitbegründer Transgender Network Switzerland) ein äusserst spannendes Soundingboard, mit dem wir im konstruktiven Austausch standen und Feedback auf Konzepte, Drehbücher und konkrete Texte einholen konnten.

Zu Wort kommen alle: Von Jung bis Alt, Männer, Frauen und alles dazwischen und darüber hinaus; die ganze Palette von LGBTQIA. Und schliesslich reden sogar eine Vulva und ein Penis ein Wörtchen mit.

Und wer war an der Konzeption und Realisierung der Ausstellung beteiligt?
Die Konzeption liegt bei unserem kleinen Kurator:innen-Team des Stapferhauses. Zu Wort kommen aber alle: Von Jung bis Alt, Männer, Frauen und alles dazwischen und darüber hinaus; die ganze Palette von LGBTQIA. Und schliesslich reden sogar eine Vulva und ein Penis ein Wörtchen mit.

Stichwort: Reden. Die Ausstellung setzt stark auf den Dialog und animiert die Besucher*innen miteinander ins Gespräch zu treten. Was hat euch zu diesem Entscheid bewogen?
Als wir in der Recherche bemerkt haben, wie schnell man über das Thema “Geschlecht” zu spannenden Gesprächen jenseits der polarisierten Debatten kommt, war für uns klar: Die Ausstellung soll genau zu solchen Gesprächen anregen und auch dazu, einander zuzuhören.

Dialog und gegenseitiges Zuhören stehen im Fokus der neuen Ausstellung “GESCHLECHT. Jetzt entdecken”.

Und was ist dein persönliches Highlight der Ausstellung?
Etwas herauszuheben fällt mir bei dieser Ausstellung besonders schwierig: Bei der Erarbeitung habe ich mich darüber gefreut, wie viele “Puzzleteile” sich nach und nach zu einem grossen, stimmigen und farbenfrohen Ganzen zusammengefügt haben. Ein grosses Highlight war die Zusammenarbeit im Team und mit vielen externen Fachleuten, vom Szenografen über die Grafikerinnen bis zu den Kamerleuten und den Schauspielenden – sie waren alle enorm engagiert und die Teamarbeit dementsprechend konstruktiv und erfrischend.

Die Ausstellung wird noch bis Ende Oktober 2021 gezeigt. Inwiefern spielt das geschichtsträchtige 2021 (50 Jahr Jubiläum des Frauenstimm- und Wahlrechts) eine Rolle?
Das Thema “Geschlecht” hat eine Jahrtausende alte Geschichte. Sie zeigt auf, wie sich Normen verändern und dass nichts so ist, “wie es immer war”. Uns war klar, dass im 2021 der Fokus auf dem wichtigen Thema der Gleichberechtigung zwischen Frau und Mann liegen wird. Wir wollten mit der Ausstellung zum Thema “Geschlecht” einen breiten Boden für diese Debatten legen.

Was wünschst du dir in puncto Auseinandersetzung mit dem Thema “Geschlecht” für die Zukunft?
Ich wünsche mir, dass die Kategorie “Geschlecht” in Zukunft weniger wichtig wird. Dass wir uns bewusst werden, dass wir in erster Linie alle Menschen sind und wir unsere Fähigkeiten, Rollen und Vorlieben unabhängig vom Geschlecht in Beziehungen und in die Gesellschaft einbringen können.

Weitere Informationen zur Ausstellung findet ihr unter www.stapferhaus.ch!

Falls ihr euch gefragt habt, wieso Sibylle ab und an den Doppelpunkt statt den Genderstern verwendet: “Die Stapferhaus-Ausstellung will alle ansprechen. Der Genderstern ist stark politisiert und führt deshalb zur Polarisierung: Während die einen Texte mit Sternchen aus Prinzip nicht lesen, fühlen sich andere durch Texte ohne Genderstern provoziert. Weil wir der Überzeugung sind, dass Sprache durchaus auch eine inkludierende oder exkludierende Macht hat, versuchen wir, in unseren Texten grundsätzlich möglichst wenig zu ‘gendern’, sondern so zu formulieren, dass niemand ausgeschlossen wird. Wo es nicht anders geht, haben wir uns für den Doppelpunkt entschieden. Er ist nicht nur Teil des Stapferhaus-Logos, sondern wird von mehreren Universitäten in Deutschland als die bessere Variante des Gendersterns empfohlen – weil er den Textfluss weniger stört und weitestgehend barrierefrei ist – so machen Sprachausgabeprogramme für sehbehinderte Menschen an der Stelle des Doppelpunkts lediglich eine kleine Pause”.

Photocredits: Stapferhaus / Anita Affentranger