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“Love, Pa.” – von Vorbildern und Vätern

Laila Gutknecht

Ich treffe Salome Müller in einem italienischen Restaurant im Kreis 4. Gegenüber liegt das Glasgebäude der Zeitung, für die Salome arbeitet – genau wie vor vielen Jahren ihr Vater. Als Salome zur Welt kommt, fragt ihr Vater bei seinem Arbeitgeber nach Vaterschaftsurlaub. Es heisst, den gebe es nicht. Daraufhin kündigt er und wird Hausmann. Seine Frau behält ihren Job als Lehrerin, weil sie ihre Arbeit mehr liebt als er die seine. 30 Jahre später schreibt Salome bei der gleichen Zeitung einen Text darüber, wie es war, mit einem Vater aufzuwachsen, der Zuhause war. Es gibt noch immer nicht mehr als einen Tag Vaterschaftsurlaub in der Schweiz.

Ausgehend von diesem ersten Text über ihren Vater schreibt Salome 2018 das Buch Love, Pa. Briefe an meinen Vater (erschienen im Echtzeit Verlag). Darin finden sich 128 Gedanken an oder über ihren Vater, der acht Jahre zuvor gestorben ist. Die Texte gehen unter die Haut, sind oft poetisch, manchmal lustig. Es ist ein Buch über Verlust und über Trauer. Von einer Tochter an ihren Vater. Und es gewährt Einblicke in ein Aufwachsen mit einem Vater, der aktiv Anteil am Leben und an der Erziehung seiner Kinder nahm, der keine blosse Schattengestalt zwischen Tür und Angel war, immer auf dem Weg zur Arbeit oder gerade von der Arbeit kommend.

Aufgewachsen in Glarus merkte Salome früh, dass das von ihren Eltern gewählte Familienmodell nicht den Konventionen entsprach. Wenn ihr Vater sie vom Kindergarten abholte, war er der einzige Mann unter den vielen Müttern. Doch Salome spürte auch die Selbstverständlichkeit und der heimliche Stolz ihrer Eltern, es anders gemacht zu haben. “Es war halt einfach mein ‘Normal’”, erzählt sie. Erst viel später, als sie beginnt, sich auf theoretischer Ebene mit Geschlechterfragen auseinanderzusetzen, oftmals im Gespräch mit Freunden oder Freundinnen, wird ihr der Einfluss der Lebensweise ihrer Eltern richtig bewusst: “Für mich war Gleichstellung selbstverständlich und es war für mich auch klar, dass ich meine Beziehungen so leben wollte.”

Dass sie dabei noch immer eher die Ausnahme ist, sieht sie in ihrem Umfeld bestätigt. “Ab einem bestimmten Alter reihen sich viele in die Traditionen ein, verstecken sich hinter der Norm. Heiraten, den Namen des Mannes annehmen, Arbeitspensum reduzieren, wenn Kinder kommen…” Doch was hilft? “Ehrlichkeit und eine gewisse Strenge mit sich selbst”, findet Salome. “Frag dich: Wenn ich meine Überzeugungen jetzt mit Argumenten wie ‘Ihm ist sein Name/Job/was auch immer halt wichtiger’ verrate­ – habe ich vielleicht schon immer einfach nur so getan, als ob?” Salome wehrt sich gegen diese gesellschaftlichen Regeln – doch es sei auch nicht die Lösung, einfach alles konträr zu machen, nur um des Bruches mit der Norm willen. Es gehe darum, zusammen mit seinem Gegenüber herauszufinden, was für einen verhandelbar ist und was nicht, welches Leben gelebt und welche Werte weitergeben werden möchten. Denn wie Salomes Beispiel zeigt, hat das Vorleben der Eltern einen bedeutenden Einfluss auf die Einstellung und die Lebensweise der kommenden Generation.

Natürlich muss es auch strukturelle Veränderungen geben – beispielsweise mehr subventionierte Krippenplätze oder Tagesschulen, die ermöglichen, dass beide Elternteile arbeiten können, wenn sie dies wünschen. Oder der besagte Vaterschaftsurlaub, der in der Schweiz voraussichtlich 2020 zur Abstimmung kommt. “Mein Vater wollte zeigen, dass die aktive Beschäftigung mit den Kindern eine riesige Bereicherung für den Mann sein kann”, meint Salome abschliessend. Ich finde: Lasst uns diese Rechte einfordern. Lasst uns auch Vorbilder sein.