Collective IssueCultureLifestyle

„Es gilt in das wertvollste Kapital zu investieren: Sich selbst.“

Cécile Moser

Nicole Brandes ist internationaler Management-Coach, Autorin und Vortragsrednerin. In ihrem Buch WE-Q beschreibt sie, wie wichtig kollektive Intelligenz ist und welche Bedeutung heutzutage Soft Skills in den Führungsetagen haben sollten.

Wie bist du ins Coaching gekommen und was gefällt dir an diesem Beruf?
Ich war 15 Jahre im Spitzenbusiness. Mit permanentem Vollgas. Irgendwann breitete sich trotz Erfolg eine innere Leere aus. Je mehr ich sie ignorierte, desto lästiger wurde sie. Als sie so unerträglich wurde, musste ich die Reissleine ziehen und warf meine Karriere von einem Tag auf den anderen über Bord. Ich ging dann ein paar Monate tauchen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Rückblickend merkte ich: ich hatte jahrelang in meine Karriere investiert, aber nicht in mich. Heute arbeite ich mit Menschen, sodass sie nicht nur Meister*innen ihres Faches werden, sondern ihrer Selbst. Da beginnt der Mensch zu blühen. Und das ist ja die Essenz des Lebens.

Warum kommen diese Personen zu dir ins Coaching – in Krisen, oder einfach weil sie sich weiterentwickeln möchten?
Was wollen erfolgreiche Menschen? Mehr Erfolg, aber eine Art von Erfolg, in der sie sich inspiriert, frei, wertvoll und selbsttreu fühlen. Wie das geht, haben wir nie gelernt. Wir erlernen einen Beruf, aber nicht das gute Leben. Wir haben vielleicht das Geld, aber nicht die Freude. Ich kenne ihre Talente und Fähigkeiten nicht. Aber was ich sagen kann, ist, dass sie vermutlich im Rückstand sind mit ihrer Potenzialentfaltung. Was könnte noch alles aus ihnen werden? Was könnten sie noch alles tun? Wie viele Sprachen könnten sie noch lernen? Niemand weiss, wieviel in ihnen steckt. Aber diese Personen spüren, da geht noch mehr. Deswegen sind diese Menschen bei mir.

Kommen Frauen häufiger als Männer ins Coaching?
Ja. Generell gesagt hinterfragen sich Frauen viel mehr. Viele versuchen dem entgegen zu wirken, indem sie sich fachlich ständig aufrüsten. Ich bin ein Fan von Weiterbildung. Aber es gilt vor allem in das wertvollste Kapital zu investieren: sich selbst. Wenn das nicht getan wird, erodieren Herz und Seele. Da kommt diese lästige innere Unzufriedenheit, von der viele meinen, sie sei ein Luxusproblem. Dabei ist sich selbst zur Priorität zu machen kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit.

Weiblich, wild und weise – worum geht es im Buch, und wie kam es dazu?
Ich wollte anhand meiner eigenen Geschichte mit diesem Buch speziell Frauen ermutigen. Ihnen versichern, dass sie es schaffen können. Egal, wie dunkel die Nacht, wie heftig der Sturm, wie gross die Herausforderungen. Sie können Opfer von Tragödien, übler Nachrede und anderen Dingen werden, die da draussen passieren. Das Wichtigste ist: nicht Opfer seiner selbst zu werden, sondern ja zu sich selbst und seinen Träumen zu sagen. Das Buch wurde ein Bestseller. Dafür bin ich sehr dankbar.

In deinem Buch WE-Q sprichst du über die Wichtigkeit von emotionaler Intelligenz. Welche Bedeutung misst du dem Kollektiv als solches heute zu, und wie sieht in deinen Augen eine ideale Firmen-Struktur aus?
Firmen sind lebendige Gebilde. Sie müssen ihre eigene Organisationsform und -kultur individuell entwickeln. Wichtig ist, dass sie Strukturen bieten, die nicht nur physisch, sondern emotional Schutz, Halt und Stabilität geben. So entsteht Vertrauen. Und bessere Performanz. Es braucht auch Raum zum Experimentieren, um innovativ und zukunftsfit zu bleiben. Der Mensch ist ein erratisches, geniales Wesen. Das zum Ausdruck zu bringen, findet nicht auf Knopfdruck statt. Und es braucht Einrichtungen, die ermöglichen, sich laufend an diesen Giga-Change anzupassen. Auch Agilität findet in strukturierten Prozessen statt. Das alles sind grosse Herausforderungen, die wir nur gemeinsam bewältigen. Firmen sind keine geschlossenen Gebilde mehr. Die Wertschöpfungskette findet längst in offenen Netzwerken statt.

“Wir brauchen alle Qualitäten am Tisch.”

Führen Frauen anders als Männer?
Mag sein, dass es genderspezifische Tendenzen gibt. Zu generalisieren, bringt uns meines Erachtens nicht weiter. Menschen sind unterschiedlich. Frauen und Männer sind unterschiedlich. Zum Glück! Wir brauchen alle Qualitäten am Tisch. Und Führung ist persönlich und individuell. Sie beginnt bei sich selbst. Es geht darum, ein besserer Mensch zu werden, um andere Menschen zu unterstützen sowie gemeinsam besser zu werden.

Mehr zu Nicole Brandes gibt’s unter nicolebrandes.ch

Und welche Eigenschaften müssen Führungskräfte heutzutage in deinen Augen haben?
Es geht ja schon längst nicht mehr um Command und Control, sondern den Spagat zu beherrschen, andere Menschen zu stärken und sie in eine bessere Zukunft zu führen, während man die eigene Verletzlichkeit und die eigenen Ängste auf diesem Weg managt. Das geht über Selbstführung und wenn man eine eigene Philosophie entwickelt.

Welche Bedeutung misst du in diesem Kontext Soft Skills zu?
In diesem gewaltigen Kräftespiel des Umbruchs wird der Mensch mehr denn je auf sich selbst zurückgeworfen. Das haben die steigenden Zulaufzahlen bei Psycholog*innen und Psychiater*innen die letzten zwei Jahre deutlich gezeigt. Das lösen wir nicht mit Technologie und Prozessen. Soft Skills sind die harte Währung der Zukunft. Die kann man sich nicht einfach durch Wissen erwerben. Sie müssen eingeübt werden. Das braucht Zeit.

“Erfolg ist für mich, wenn ich nach meinen eigenen Vorstellungen lebe – auch im Sturm – und dabei einen Beitrag schaffe, der nicht nur mich, sondern auch andere glücklich macht.”

Frauen müssen mehr netzwerken – stimmst du dem zu?
Ja, aber vor allem: besser! Es bedeutet nicht, einfach an einem Event teilzunehmen und auf Opportunitäten zu hoffen, sondern sich vorgängig zu fragen: “Was erwarte ich? Was will ich erreichen? Wen will ich kennenlernen? Warum? Und was kann ich beitragen, damit wir uns gegenseitig unterstützen und weiterbringen?” Ein weiterer Schlüssel ist, sich gezielt in der Firma zu vernetzen. Wer kann ein Mentor*in sein? Wer sind Meinungsführer*innen, von denen man lernen kann? Wer sind Schlüsselpersonen, die Anliegen unterstützen? Man kann lernen, richtig netzzuwerken. Das hat mir damals die Augen geöffnet.

“Wenn zweifeln, dann höchstens an den eigenen Grenzen. Wir können alle viel mehr sein, als wir meinen.”

Was rätst du jungen Frauen noch?
Den Rückstand in der persönlichen Potenzialentfaltung aufzuholen. Nicht an der Zukunft zu zweifeln, nicht an den Möglichkeiten zu zweifeln – vor allem aber -, nicht an sich selbst zu zweifeln. Wenn Zweifel dich bremsen, solltest du den Spiess umkehren und die eigenen Zweifel bremsen! Und wenn zweifeln, dann höchstens an den eigenen Grenzen. Warum? Weil wir alle viel mehr sein können, als wir meinen. Da ist sich sogar die Wissenschaft einig.

Photocredit: Nicole Langholz