Das Mailänder Designer-Duo Dimore Studio kreiert kunstvoll inszenierte Raumkonzepte, die die Besucher*innen in ungewohnte Traumkulisse entführen.
Ich weiss nicht, ob es die übertriebene Euphorie für Materialien und Muster war, oder der harte Kontrast von Farben und Licht, die mich in ihren Bann zogen. Jedenfalls mag ich mich noch erinnern, wie ich mich im Treppenhaus an anderen Besucher*innen eng hindurchquetschen musste, um die Ausstellung an der via Solferino zu besuchen. Das Mailänder Designer-Duo Dimore Studio um Emilio Salci und Britt Moran hatte sich als Geheimtipp des Fuori Salone, an der bedeutendsten Designmesse Europas, herumgesprochen. Natürlich musste ich mir das ansehen. Das war vor fünf Jahren.
Ungewohnt war bereits der Ausstellungsort, denn er befand sich im zweiten Stock eines alten Stadthauses mit hohen Decken und schmalen ebenso hohen Fenstern. Die Wände und Decken waren in einem royalen dunkelblau gestrichen und der Boden war mit einem konservativen Spannteppich in der gleichen Farbe überzogen. Ein harter Szenenwechsel für meine sonnenverwöhnten Augen. Ich wurde durch einen düsteren Tunnel geschleust, funkelnde Lichter ebneten den Weg, immer mal wieder blitzte ein Möbel auf. Während in einem Raum lediglich ein klobiger Polsterstuhl zart belichtet wurde, befand man sich im nächsten Raum in einer üppigen Tropenlandschaft wieder, welche die Augen konstant mit neuen Details, Farben und Mustern überforderte. Eine Sinneserfahrung war aufregender als die andere. Laute Musik dröhnte in meinen Ohren, die Lichtinszenierung spielte mit meiner visuellen Wahrnehmung und die verschiedenen Muster und Texturen stimulierten meine Neugier für das Unbekannte.
Erst als ich auf einer grosszügigen Innenhofterrasse unter der Sonne Mailands mit einem Drink in der Hand wieder ausgespuckt wurde, fragte ich mich: What the hell ist hier eigentlich gerade passiert?
Dimore Studio sind Meister der Inszenierung und schaffen es mit ihren Installationen und Ausstellungen eine ganz eigene Welt zu kreieren, die sich irgendwo zwischen nostalgischen Erinnerungen und futuristischen Zukunftsvisionen einpendelt – aber sich ganz weit weg von der Gegenwart befindet. In einem Moment ist man noch im Alltag, im nächsten wird man von einer realitätsfremden Kulisse verschlungen. Taucht man ein, kann es sein, dass man eine ganze Weile nicht mehr auftauchen möchte. Und wenn es dann doch passiert, braucht man einen Moment, um Luft zu schnappen und das Erfahrene in der Realität wieder einzuordnen. Oder anders gesagt, die beiden Designer wissen, wie man unvergessliche Erlebnisse schafft.
2019 haben Dimore Studio einen alten Kinosaal in Milano mit der Ausstellung Interstellar für sich beansprucht und ein eigenes Universum erschaffen. Laute Rockmusik dröhnte aus den Boxen, der Boden bis zur Ausstellung war mit einem Leopardenteppich überspannt und eine grelle Beleuchtung ebnete den Weg durch rote Samtvorhänge zur Ausstellungsplattform. Korallfarbene Vorhänge standen im harten Kontrast zu den scharfen, glänzenden Objekten und teilten die Präsentationsfläche in vier Bereiche – Büro, Wohnzimmer, Esszimmer und Schlafzimmer. Die gesamte Farbpalette war wie für Dimore Studio üblich, dunkel gehalten. Die kalten Materialien der Kollektion wie Aluminium, Lacke, gebürsteter und polierter Stahl sowie Bronze und laminierte Oberflächen wurden durch grelle Lichter in Szene gesetzt. Was sich jetzt als nackter Beschreib unerträglich anhören muss, entpuppt sich live als ein faszinierendes Raumerlebnis.
Die Ästhetik war nur ein Vorgeschmack auf die neue Ausrichtung des Studios hin zu einem noch dekadenteren Stil – und genau dafür habe ich sie gefeiert.
2003 hat das Studio als Innenarchitekturbüro begonnen und sich im Laufe der Jahre zu einem gefeierten Phänomen in der Design-Szene gemausert. Heute haben sie unter anderem mit Hermès, Fendi und Bottega Veneta zusammengearbeitet und haben das angesagte Hotel Casa Habita in Guadalajara, Mexico (siehe Headerbild – i mean?!) gestaltet. Was Dimore Studio ausmacht ist, dass sie nicht vor Materialien wie Seide und Samt oder abgenutzten Mustern oder staubigen Farbtönen zurückschrecken. Im Gegenteil, sie nehmen diese Komponente aus Art Deco bis zu den 1970er Jahren und schaffen es durch die Kombination verschiedener Materialien und Mustern einen Dialog zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart aufrechtzuerhalten. Wo bei anderen die Experimentierfreude aufhört, scheint sie bei Dimore Studio erst richtig zu entfachen.
So kreieren sie immer wieder neue Welten zwischen Kunst, Mode, Design und Architektur, die beweisen – mehr geht immer.
Photocredits: Dimore Studio / Insplosion / Leo’s