“Es ist einfach krass, als Frau im Nachtleben stattzufinden”
Julia Tverskaya
Sich als female artist in einer männerdominierten Szene durchzusetzen, ist hart. Rule Nr. 1: Orientiere dich an der gegebenen – oftmals männlich geprägten – Norm. Ansonsten wirst du in die Schranken gewiesen – oder es wird dir Qualität abgesprochen. Für viele weibliche Künstlerinnen bedeutet dies, sich einschränken zu müssen, um überhaupt gesehen zu werden. Gizem Adiyaman und Lúcia Luciano sind als das Berliner DJ-Duo Hoe_Mies bekannt. Mit ihren Partys fordern sie die Szene dazu auf, umzudenken. Für unsere OPULENCE ISSUES habe ich mit ihnen das Frausein im Nachtleben, ihre Community und ihre Erfahrungen als aktivistische Akteurinnen gesprochen.
Beginnen wir bei euren Anfängen. Wie seid ihr zum Auflegen gekommen?
Gizem: Ich habe vor Hoe_Mies noch nie aufgelegt. Es war auch nicht meine Ambition etwas in diese Richtung zu tun, weil ich mich schlichtweg nicht in dieser Position gesehen habe. Auf Partys war ich jedoch immer diejenige, die das AUX-Kabel bereit hatte und für die Stimmung sorgte. Als die Idee eine eigene Veranstaltung zu organisieren konkreter wurde, brachte mir mein Freund die Basics bei. Zu diesem Zeitpunkt kannte ich nur Lúcia, die bereits Erfahrung mit dem Auflegen hatte. Zusammen haben wir am Konzept gefeilt und daraus ist dann Hoe_Mies entstanden.
Lúcia: Meine ersten Berührungen mit dem Auflegen hatte ich während meines Auslandsjahres in London. Ich lernte damals verschiedene DJ’s und Produzenten kennen und verbrachte meine Wochenenden damit, aufzulegen. Zurück in Deutschland verging etwas Zeit, bis ich das vollständige Equipment zusammen hatte, weil die einzelnen Teile nicht gerade kostengünstig sind. Dennoch begann ich wieder zu spielen. Auflegen war immer ein Traum von mir, ich hätte nie gedacht; trotzdem hätte ich nie gedacht, dass ich es dann auch wirklich tun würde. Deshalb bin ich froh, dass Gizem mich damals anfragt hat, ob wir eine gemeinsame Partyreihe starten.
Ihr habt, wie erwähnt, die Hoe_Mies Partyreihe ins Leben gerufen. Aus welchem Bedürfnis ist diese Idee entstanden?
Gizem: In der Szene, in der wir uns bewegen, gab es sehr wenig Veranstalterinnen und weibliche DJ’s – besonders im Hip-Hop Bereich. Die Szene war sehr männerdominiert. Auch die Musik, die in den Clubs gespielt wurde, war sehr von männlichen Künstlern geprägt. Das war für uns der Impuls etwas Eigenes zu starten und die Partys inhaltlich anders, als bisher gewohnt, zu gestalten. Uns war es wichtig, dass wir Frauen und nicht binäre Menschen eine Plattform bieten und ihnen somit eine Sichtbarkeit verschaffen.
Hoe_Mies ist auch community space. Wie bildet man eine Community mit einer Partyreihe? Und worauf achtet ihr dabei?
Lúcia: Man muss sich im Vorfeld genau überlegen, welche Zielgruppen man ansprechen möchte und sie, so gut es geht, miteinbeziehen. Wir möchten mit unseren Partys ein weibliches, queeres Publikum und BIPOC ansprechen. Da ist es wichtig, dass diese Personen bei der Organisation der Veranstaltungen mitgedacht werden. Sei es im Line-Up, an der Türe oder, dass sie mit einem Awareness-Team am Start sind. So schafft man allmählich eine Basis dafür. Bei uns entstand die Community teilweise auch organisch. Wir haben beide verschiedene Freundeskreise, die dann wiederum ihre Freund*innen an die Party mitgenommen haben. Unsere Party kam sofort gut an, sodass auf die erste Party noch weitere Veranstaltungen folgten. So ist nahdisnah unsere Community entstanden.
Gizem: Ich kann mich Lúcia nur anschliessen. Es ist wichtig darauf zu achten, über welche Kanäle man die Party promotet. Das hilft dabei, das richtige Publikum anzusprechen. Wir haben während unseren Partys eine Selekteurin an der Türe, die schaut, ob die Gäste, die in den Club wollen, auch zu unserer Veranstaltung passen. So stellen wir sicher, dass der Abend in einem sicheren Rahmen stattfindet.
Stichwort “Männlich dominierte Partyszene”: Gizem, du hast bereits vorhin erwähnt, dass die gesamte Club- und Partyszene sehr männerdominiert ist. Ich musste schon dieselbe Erfahrung machen. Man wird belächelt, nicht ernst genommen und sexistisch angegangen – was sehr entmutigend sein kann. Wie war das für euch? Wie habt ihr euch durchgesetzt?
Gizem: Bei uns war das sehr ähnlich. Wir hatten keinen direkten Zugang zu einem Club, sondern mussten diverse Lokale anfragen. Die Club-Besitzer*innen waren unserem Konzept gegenüber eher skeptisch. Uns wurde gesagt, dass eine Party, die Männer nicht miteinschliesst, keine Zukunft hat. Das sahen wir nicht ein. Wieso sollte eine Veranstaltung, die für ein weibliches und queeres Publikum gedacht ist, nicht funktionieren? Wir konnten unsere erste Party trotzdem in diesem Club durchführen und sie war ein voller Erfolg! Als Hoe_Mies immer grösser wurde, mussten wir auch den Veranstaltungsort wechseln. Passende Veranstalter*innen zu finden, die das Konzept verstehen und supporten, war ein steiniger Weg.
Wir hatten mal eine Auseinandersetzung mit einem Club-Besitzer, der uns als Token gebraucht hat, damit Frauen den Club besuchen. Ob der Club aber ein sicherer Raum für die weiblichen Gäste und uns war, war ihm sichtlich egal. Ich glaube wir haben alles schon erlebt – es ist einfach krass, als Frau im Nachtleben stattzufinden.
Ich finde es richtig anstrengend, sich immer beweisen zu müssen! Das fängt bereits bei den Sets an. Spielt frau Tracks, die vom männlichen Publikum nicht als “cool” empfunden werden, hell breaks loose!
Gizem: Voll! Wir haben in der Vergangenheit auch Sets auf verschiedenen Streaming-Kanälen gespielt. Dort merkt man das sehr stark. Sobald der musikalische Inhalt von der gewohnten Norm abweicht, folgen auch schon die abwertenden Stimmen. Man wird als Frau viel schneller belächelt und man liest viel öfters Rückmeldungen wie “Die kann doch gar nicht richtig auflegen.” oder “Können sie auch mit Vinyls spielen?”. Man bekommt immer das Doppelte an negativen Kommentaren ab.
In den letzten Jahren gab es auch viele soziopolitische Bewegungen, die marginalisierten Gruppen mehr Sichtbarkeit verschaffen haben. Merkt ihr, im Vergleich zum euren Anfängen, eine Veränderung in der Szene?
Lúcia: Ich glaube, dass diese Bewegungen einen Einfluss haben. Die Frage ist, ob die Veränderungen durchgehend positiv sind oder einen bitteren Beigeschmack haben. Natürlich erhalten, zum Beispiel, viel mehr Frauen und queere Menschen einen Spot. Man muss jedoch aufpassen, dass die Veränderungen nicht nur auf einen Trend zurückzuführen sind und die Personen somit nur als Token gebucht werden. Was im Vordergrund präsentiert wird, entspricht nicht immer der Realität. Noch heute ist die Szene männlich, cis und weiss dominiert. Da ist noch viel Luft nach oben.
Nur weil marginalisierte Menschen mehr Visibilität haben, bedeutet das nicht, dass man sich ausruhen kann. Das Umdenken muss nachhaltig stattfinden!
Gizem: Ich habe noch nie so viele weibliche DJ’s gesehen wie jetzt. Man muss sich das mal vor Augen führen. Ich habe angefangen aufzulegen, weil es kaum weibliche DJ’s gab. Heute beobachte ich, zumindest in Berlin, dass Veranstalter*innen ein starkes Augenmerk darauflegen, wie ihre Line-Ups aussehen. Es kann empowerend wirken, wenn Frauen hinter den Desks stehen. Man traut es sich dann mehr zu, ganz nach dem Motto: “Wenn sie es können, kann ich es auch.” Das ist cool zu sehen. Ob es auf eine Trendbewegung zurückzuführen ist, wird sich dann mit der Zeit zeigen.
Habt ihr mit der Zeit ein gewisses Gefühl entwickelt, um zu erkennen ob ihr tokenisiert werdet oder nicht?
Gizem: Ja, haben wir. Wir achten sehr darauf, wer uns anfragt, wie die Venues aussehen, wie das Line-Up gestaltet ist etc. Wenn wir merken, dass sich die Veranstalter*innen profilieren wollen, dann wehren wir uns. Das kommt nicht immer gut an. Uns ist es aber wichtig, uns zu äussern und auf mögliche Missstände aufmerksam zu machen. Ich glaube aber auch, dass man Club-Besitzer*innen eine Chance geben sollte, sich zu verbessern. Das bedingt jedoch, dass sie zuhören. Es bringt nichts, wenn man Räume direkt boykottiert. Wir haben auch im vorhin genannten Fall das Gespräch mit dem Verantwortlichen gesucht, gebracht hat es aber leider nichts.
Lúcia: Es ist ein schmaler Grat. Einerseits fordert man einen Platz am Tisch, andererseits kann man sich nie sicher sein, wieso man angefragt wird. Teilweise sehe ich solche Bookings auch als Chance. Früher oder später muss irgendjemand die*der Erste sein, die*der sich an den Tisch setzt und mitentscheidet. Problematisch wird es für mich, wenn man die Person als Aushängeschild benutzt und die Arbeit, die dahintersteckt, nicht anerkennt oder wertschätzt.

Die Hoe_Mies Partys sind nicht das einzige Instrument, mit dem ihr ein politisches Statement setzt. Ihr nutzt euren Instagram-Account, führt den “Realitäter*innen”-Podcast und wirkt bei Panels mit. Wieso ist es euch wichtig, eure Aufklärungsarbeit auch auf weiteren Kanälen weiterzuführen?
Lúcia: Eine Party ist super begrenzt. Dieser space ist nice, um seine Grundsätze praktisch auszuüben. Versucht man einen politischen Raum in diesem Rahmen zu kreieren, kommt man jedoch schnell an seine Grenzen. Alles was zur Partyreihe dazugekommen ist, sind weitere Sprachrohre und Möglichkeiten, uns auszuprobieren.
Gerade wenn es um Aufklärungsarbeit geht, achtet ihr darauf, auch Menschen, die nicht immer Zustimmung innerhalb ihrer eigenen politischen Bubble erhalten, eine Plattform zu bieten. Was muss sich da eurer Meinung noch ändern, dass alle Beteiligten, die sich im Grundsatz einig sind, am gleichen Strang ziehen?
Gizem: So vieles! Mit unserer Plattform versuchten wir – und tun es immer noch – aufzuklären und vertiefte Insides zu gewöhnren. Wenn man jedoch eine gewisse Position, einen gewissen Status erreicht hat, wird von der eigenen Community erwartet, dass man alle Erwartungen erfüllt. Das ist gar nicht möglich, weil man unterschwellig dazu gedrängt wird, immer nur die Meinung zu äussern, die die Mehrheit der Bubble vertritt. Ist man für einmal nicht der gleichen Ansicht, hagelt es gleich Kritik. Das ist anstrengend, weil es unteranderem an die Substanz geht. Wir erhielten viele Shitstorms und man hat uns auch versucht zu canceln.
Ich wünsche mir, dass man mehr miteinander spricht, anstatt sich gegenseitig zu boykottieren. Einen ganzheitlichen Anspruch an einen Menschen zu haben, funktioniert nicht. Niemand kann dieser Erwartung gerecht werden. Diese Community ist so vielseitig, da müssen verschiedene Meinungen und Erfahrungen koexistieren können.
Lúcia: Genau, eine Community sollte dabei einen sicheren Ort darstellen, wo man sich informieren und weiterentwickeln kann.
Gizem: Exakt! Ich habe den Eindruck, dass Menschen sich gar nicht mehr trauen Fragen zu stellen, weil sie befürchten, direkt gecancelt zu werden. Man zieht lieber mit der Masse mit, als zuzugeben, dass man vielleicht nicht genügend informiert ist. Es ist schlimm, wenn Diskurse direkt mundtot gemacht werden, bevor sie überhaupt stattfinden können. Wenn wir uns nicht mehr trauen über Sachen zu reden, riskieren wir, dass wir Leute zurücklassen. Diese Entwicklung finde ich schwierig.
Lúcia: Mich stört es auch, dass der Diskurs oft sehr elitär ist. Menschen machen Fehler und nicht alle haben den gleichen Zugang zu Informationsquellen. Wir sind alle verschieden und teilen dennoch zu vielen soziopolitischen Themen die gleichen Ansichten. Das sollte man nicht aus den Augen verlieren. Mein Wunsch ist es, dass wir alle am gleichen Strang ziehen und uns gegenseitig akzeptieren. Das man in die eigenen Reihen schiesst, finde ich weird. Ich hoffe, dass es ein Prozess ist, der sich in den nächsten Jahren noch zum Positiven hin entwickelt.
Ihr habt’s gerade erwähnt: Auch ihr musstet bereits Erfahrungen mit cancel culture machen. Wie habt ihr gelernt, euch abzugrenzen und nicht mehr rechtfertigen zu müssen?
Gizem: Das war ein langer Prozess. Keine Ahnung, ob wir heute schon an diesem Punkt angekommen sind, wo wir uns bei einem weiteren Zwischenfall nicht erneut in Frage stellen würden. Die Erfahrung war wichtig, wir konnten uns dadurch von gewissen Erwartungen und dem Druck, allen gerecht zu werden, lösen. Ich habe diese Zeit genutzt, um meine eigenen Ansichten zu überdenken. Vertrete ich Meinungen nur, weil es der Tenor der Community ist, oder bin ich durch eine persönliche Auseinandersetzung zu diesem Entschluss gekommen. Man muss sich seine Integrität bewahren und sich immer wieder reflektieren. Bei jedem Shitstorm habe ich den Fehler direkt bei mir gesucht, musste aber relativ schnell erkennen, dass gewisse äussere Faktoren nicht von mir abhängig sind.
Es bringt nichts, wenn du dich ständig zu erklären versuchst – nicht alle werden oder wollen dich verstehen.
Lúcia: An sich ist es wichtig, dass man solche Erfahrungen ernst nimmt, sich selbst reflektiert und sich eigensteht, dass man an gewisse Dinge anders herangehen muss. Mein learning daraus war es, dass ein Netzwerk, ausserhalb der Internet-Welt, extrem entscheidend ist. Wir haben mit Hoe_Mies eine Internet-Persona erschaffen. Wir sind aber auch Privatpersonen. Oft vergisst man, dass, unabhängig davon was wir von uns online preisgeben, es nur ein Bruchteil vom Ganzen ist. Deshalb ist es ultrawichtig, dass man Menschen um sich hat, die einem immer wieder daran erinnern. Das eine ist unsere Aussenwahrnehmung, Social Media und Teil unserer Arbeit und das andere ist unser Privatleben und ein sicherer Rahmen, sich fallen zulassen.
Wir können die Umgangsweise anderer Leute, die sie uns gegenüber wählen, nicht beeinflussen. Was wir kontrollieren können, ist unsere Reaktion darauf.
Zu guter Letzt: Ihr blickt auf 4 Jahre Hoe_Mies zurück. Was war euer persönliches Highlight?
Lúcia: Momente, bei denen alle dabei sind, sind die schönsten. Wie zum Beispiel als wir zum Dockville Festival gefahren sind und unsere Schwestern und unsere besten Freundinnen mitgenommen haben. Wir haben dann mit ihnen zusammen auf der Bühne performt, getanzt und den Leuten eingeheizt.
Gizem: Mein Hightlight ist unsere erste grosse Festival-Erfahrung. Wir traten 2018 auf dem Splash Festival auf. Wir durften einen ganzen Abend kuratieren. Ich wusste gar nicht, was uns erwarten würde. Die Party war krass! Die Menschenmenge war völlig ausser sich und ist fünf Stunden lang mitgegangen. Auf der Bühne und hinter den Decks waren nur Girls. Es war richtig nice – das werde ich nie vergessen!
Photocredits: Hoe_Mies / Edition F / Franz Becker