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Express Yourself, Don’t Repress Yourself

Julia Tverskaya

Geht es um die Darstellung von Sinnlichkeit, Lust und Sexualität in der Musikwelt, gibt es eine Reihe an Künstlerinnen und Künstlern, die seit Jahrzehnten die Grenzen der Darstellungsform durchbrechen und sie für sich neu definieren. Und obwohl auch heute noch kritische Stimmen existieren, denen besonders Künstlerinnen ausgesetzt sind, leben Musikwelt und Gesellschaft von der Interpretationsvielfalt von Lust.

Es gibt Momente im Leben, die einen dermassen prägen, dass man sich noch Jahre später mit einer Klarheit an sie erinnert, als wären sie gestern passiert.

Einen dieser Momente hatte ich 1998, als ich im Alter von zehn Jahren die Musiksammlung meiner Mutter durchstöberte. Dabei stiess ich auf die beiden Madonna-Alben “Bedtime Stories” und “Erotica”. Damals habe ich weder verstanden, um was es in den Songtexten wirklich ging, noch wie wichtig Madonna hinsichtlich female Empowerment in der Musikbranche war. Ich fand, was ich hörte gut und sang in meinem Fantasie-Englisch die Lieder unbeschwert mit.

Vier Jahre später erlebte ich den zweiten prägenden Moment, als Christina Aguilera ihr “Stripped”-Album veröffentlicht. In den Medien wurde Xtina, wie sie sich damals nannte, für ihre Freizügigkeit und ihren sicheren Umgang mit der eigenen Sexualität verpönt und schubladisiert. Dieses Denken etablierte sich auch in der Gesellschaft. Herabwürdigend und verurteilend schaute man auf eine weibliche Künstlerin, die offen und unverfroren ihre Position einforderte und ihre individuelle Interpretation der Sinnlichkeit mit der Welt teilte. Ich dagegen bewunderte sie!

Wenn es darum geht, wie Lust, Sinnlichkeit und die eigene Sexualität in der Musikwelt dargestellt und ausgelebt werden, kriegt man den Eindruck, es gäbe einen Wertemassstab, der stetig zwischen “richtig” und “falsch” entscheidet. Doch würden wir diesen – und damit überholte Stereotype – beiseitelegen, könnte etwas viel Bedeutenderes entstehen: Die Diskussion darüber, welchen Beitrag die Verkörperung von Lust für unsere eigene persönliche Wahrnehmung und Entfaltung leisten kann.

Schluss mit dem sinnlosen Diskurs um Freizügigkeit oder Vorbilderrollen – Vorwärts mit der Erkenntnis, dass Reize und deren Ausdruck an keinen Wert gebunden sind.

Wieso finden wir uns als Gesellschaft immer wieder an diesem Punkt, an dem wir Künstlerinnen ihr eigenes “Ich” absprechen – insbesondere, wenn das “Ich” an einen lustvollen oder sexuellen Kontext gebunden ist? Die einen verfolgen einen “in your face”-Ansatz, die anderen setzen auf das Unantastbare und keines davon ist “richtig” oder “falsch”. Sie sind in ihrer Visualisierung unterschiedlich, aber in ihrem Nenner sind sie gleich. Sie stehen für Freiheit. Sie stehen für Eigensinn und die Kraft, eigene Entscheidungen treffen zu können.

Wenn ich heute Sade, Madonna, Snoh Aalegra, Lil Kim usw. in meiner Playlist anklicke, höre ich Künstlerinnen, die dazu beigetragen haben, dass Lust in vielen verschiedenen Nuancen gelebt und betrachtet werden kann und in erster Linie eine unabhängige und starke Person umschreibt. “Express yourself, don’t repress yourself; And I am not sorry: It’s human nature”. Was ich mit damals beim Hören von Madonna offensichtlich nicht verstanden habe, prägt mich heute, mit 32, umso mehr. Es sind Zeilen und Messages, die wir endlich leben sollten. Und wenn sich wieder einmal der Moralapostel in uns meldet, richten wir den imaginären Zeigefinger am besten auf uns selbst.

Mehr lustvolle Tracks findest du in meiner “fempop Lust Issue”-Playlist:

Photocredit: Blogspot