“Es ist ganz einfach: Wenn es nicht entscheidend ist, sage ich es nicht”
Julia Tverskaya
Ihr Fond liegt im Juristischen. Sie doktoriert an der Universität Bern im Bereich der Cyber-Defense und engagiert sich in diversen politischen Ämtern. Ob ihr unermüdliches Engagement als Komitee-Mitglied zum PMT-Referendum oder ihre aktive Beteiligung hinsichtlich der aktuellen Abstimmungen – Sanija Ametis Art, Politik zu betreiben ist erfrischend und weiss zu mobilisieren.
In jeder Berichtserstattung trifft Ameti ins Schwarze. Sie ist eloquent in ihrer Diskursführung und man erahnt bereits, dass es einiges braucht, um sie aus der Ruhe zu bringen.
So ist es auch nicht weit hergeholt, wenn man behauptet, dass die 28-jährige Juristin, jenes mitbringt, das in der Schweizer Politik lange vermisst wurde – starke und klare Meinungsäusserung, ohne überflüssiges Gerede und Schönmalerei.
All dies durfte ich im Interview mit Sanija erleben und bestätigen lassen.
Sanija, du bist Juristin, Mitglied der Geschäftsleitung der JGLP Zürich und der Parteileitung der GLP ZH, zudem auch ein Komitee-Mitglied des PMT- Referendums. Was hat dein politisches Denken und deine politische Ausrichtung geprägt? Was war dein persönlicher Anstoss, dich politisch zu engagieren?
Es war alles von Anfang an politisch. Ich wurde während des Jugoslawienkriegs geboren, und meine Eltern mussten als politisch Verfolgte mit mir aus ihrer damaligen Heimat fliehen. Die Frage nach dem “warum” beschäftigt mich, seit ich denken kann. Sich mit diesem Konflikt abzufinden, ist das eine, ihn zu verstehen, ist das andere. Im Laufe dieses Verstehensprozesses wurden für mich Dinge sichtbar. Zum Beispiel wie gefährlich es ist, wenn sich eine Gesellschaft spaltet. Wenn politische Akteur*innen das Narrativ der “Wir Guten” und “Ihr Bösen” für eigene Profilierungszwecke missbrauchen.
Das PMT-Referendum wurde kürzlich angenommen. Du warst die gesamte Zeit an der vordersten Front dabei. Wieso ist für dich das Referendum so wichtig und wieso sollte es für uns alle wichtig sein?
Das PMT gibt vor, mehr Sicherheit zu schaffen – erreicht aber genau das Gegenteil. Indem es die Definition des sogenannten “terroristischen Gefährders” extrem weit fasst, können nach diesem Gesetz selbst politische Aktivist*innen als solche Gefährder von der Polizeibehörde mit freiheitsberaubenden Massnahmen belegt werden. Natürlich gehen wir davon aus, dass die Schweizer Polizeibehörden dies nicht tun würden – es ist aber keine Garantie im Gesetz vorgesehen. Alles, was uns bliebe, wäre das Vertrauen in die Behörden, dass sie das Gesetz schon rational anwenden würden.
Ein Rechtsstaat zeichnet sich aber nicht durch Vertrauen aus, sondern durch klare Grenzen im Gesetz selbst, die jede*n Einzelne*n von uns vor Eingriffen in unsere Freiheit schützen. Denn Vertrauen ist reine Glückssache.
Zusätzlich fehlt im PMT-Gesetz eine vorangehende richterliche Kontrolle, welche prüft, ob jemand berechtigt zum terroristischen Gefährder erklärt wird und ob die Massnahmen verhältnismässig sind. Die Polizeibehörde soll also gleichzeitig Richter und Henker sein – und das ist in einem Rechtsstaat nicht akzeptabel. Fühlen wir uns als Bürger*innen sicher in der Schweiz, wenn wir ständig mit der Gefahr leben müssen, willkürlich oder fälschlicherweise als terroristische Gefährder behandelt zu werden?
Welche Normen und Werte unserer Gesellschaft bzw. Politik möchtest du mitgestalten?
Mir geht es im Kern darum, eine geeinte Schweiz zu fördern.
Das bedeutet, eine Schweiz zu schaffen, in der alle sicher und frei sind, ohne dass es darauf ankommt, ob sie Eidgenoss*innen, Eingebürgerte, Ausländer*innen, Flüchtlinge, Muslim*innen oder Christ*innen usw. sind.
Gewisse Kategorien zielen ja gerade darauf ab, unsere Gesellschaft in verschiedene Lager zu spalten. Das ist sehr gefährlich und schürt nur Hass.
Wer sich die jüngsten Berichte mit Sanija Ameti zu Gemüte geführt hat, wird wohl erkannt haben, dass es sich bei der Politikerin um eine Person handelt, die direkt auf den Punkt kommt. Ihre Aussagen sind klar und schlagfertig definiert und klein kriegen lässt sie sich erst recht nicht. Zunächst ist diese Art in der Politik tendenziell nicht aussergewöhnlich und trotzdem hat man heute immer noch das Gefühl, dass es teilweise schweigend abgelehnt wird, wenn eine Frau* sich klar positioniert und kein Blatt vor den Mund nimmt.
Gab es in deinem Leben Erlebnisse, die diese Stärke deiner Art der Meinungsäusserung geprägt haben?
Es gab kein bestimmtes Erlebnis. Ich weiss von den Erzählungen meiner Eltern, dass ich schon immer eine grosse Klappe hatte.
Wie entscheidend ist es für dich, für deine Überzeugungen einzustehen und diese kundzutun?
Es ist ganz einfach: Wenn es nicht entscheidend ist, sage ich es nicht.
Auf ihrem Twitter-Account verschafft sich Ameti ein weiteres Sprachrohr. Nimmt man sich die Zeit, die Tweets durchzulesen, in denen sie nicht nur auf gekonnte und charmante Art und Weise der Gesellschaft den Spiegel vorhält, sondern vielmehr mit ihrem an Nuancen reichen Engagement einem dazu motiviert, selber aktiver zu sein, so stösst man auf weitere Projekte und Beteiligungen der Juristin. So erfährt man, dass Sanija unter anderem eine der Mitverfasserin einer grossen Studie zum 50-Jahr-Jubiläum des Frauenstimm- und Wahlrechts ist. Eine Studie, die aufklären sollte. Eine Studie, die essenzieller nicht sein könnte.
Du beteiligst dich zurzeit an einer grossen Studie zum Frauenstimm- und Wahlrecht. Welche Frage sollte mit dieser Studie beantwortet werden?
Weshalb es so lange gedauert hat, bis man sich in der Schweiz zu einem Frauenstimmrecht durchgerungen hat. Dazu haben wir rechtswissenschaftliche Literatur, Gerichtsentscheide und alle Parlamentsdebatten vor 1971 analysiert.
Was bedeutet es für dich persönlich über das Stimm- und Wahlrecht zu verfügen?
Man könnte auch fragen, was bedeutet es für jemanden, sauberes Wasser trinken zu können? Die Bedeutung ist in etwa dieselbe. So banal – und doch so essenziell.
Gibt es für dich aktuell ein gesellschaftspolitisches Beispiel, das dem progressiven Denken hinsichtlich der Frauenrechte in der Schweizer Politik und Gesellschaft widerspricht?
Es gibt ganz viele Beispiele. Einerseits die Tatsache, dass es ganze sieben Jahre gedauert hat, bis das Parlament seit dem Vorstoss 2013 die Ehe für Alle angenommen hat, was auch eine zentrale Gleichstellungsfrage in unserer Gesellschaft betrifft. Dass das Schweizer Sexualstrafrecht schwere Fälle nicht angemessen schützt. Dass unser veraltetes Steuersystem es für Frauen unattraktiv macht, erwerbstätig zu sein. Dass gleicher Lohn für gleiche Arbeit immer noch nicht Realität ist. Dass Frauen für Tampons eine Luxussteuer zahlen müssen, Männer zum Beispiel für Viagra nicht. Oder, dass Väter nicht die gleich lange Vaterzeit erhalten, die auch Müttern nach der Geburt ihres Kindes rechtlich zusteht, ist auch ein Nachteil für die Mutter. So wird die Rollenverteilung zementiert, dass es eben die Frau ist, die nach der Geburt Zuhause bleiben soll. Es gäbe noch so vieles, das ich aufzählen könnte.
Am Ende des Interviews interessiert es mich, wohin es für Sanija Ameti als nächstes geht.
Was sind deine nächsten Ziele? Welchen Meilenstein möchtest du in deiner generellen Laufbahn erreichen?
Ich nehme alles gerne so, wie es kommt. Wohl weil ich nicht so gut im Planen bin – Hauptsache, mir wird nicht langweilig.