“Nur gemeinsam gelingt es uns, für unsere Anliegen erfolgreich einzutreten”
Sandra von Euw
Seit 1991 erforscht der Frauenstadtrundgang Zürich die Frauen- und Geschlechtergeschichte Zürichs. Ihre Ergebnisse vermitteln die über zwanzig Historikerinnen mit Stadtrundgängen, Vorträgen und Publikationen einem breiten Publikum und machen so Frauen in der Geschichte und im Stadtraum sichtbar. Mit Dorothee Rempfer, stv. Co-Präsidentin des Frauenstadtrundgangs Zürich, durfte ich über dieses inspirierende Projekt sprechen.
Liebe Dorothee, wie das Frauenstimm- und Wahlrecht feiert auch der Frauenstadtrundgang Zürich 2021 ein rundes Jubiläum – Gratuliere! Seit 30 Jahren führt ihr Besucher*innen durch die schönste Stadt der Welt – Zürich! Was habt ihr euch für das bevorstehende Jubiläumsjahr ausgedacht?
Wir haben verschiedene Überraschungen für dieses Jahr geplant, eben weil wir ja dieses Doppeljubiläum feiern. Da wäre zum einen unser neuer Rundgang mit dem Titel “50 Jahre Frauenstimm- und Wahlrecht”. Dann haben wir in den letzten Monaten ein Quartett mit 32 Frauenportraits zusammengestellt, das ab März 2021 über unsere Website bezogen werden kann, und wir sind gerade dabei, eine Actionbound-Schnitzeljagd zum Thema Frauengeschichte(n) in Zürich fertig zu stellen. Ausserdem drehen wir im Moment im Auftrag der Fachstelle für Gleichstellung acht Kurzfilme zu jenen historischen Frauen, die – in einer bisher einmaligen Aktion – nachträglich mit einer Strasse geehrt werden. Auf unserer Website informieren wir über die aktuellen Projekte.
1991 wurde euer Verein gegründet – im selben Jahr wie der erste Frauenstreiktag stattfand. Gibt es da Zusammenhänge? Und falls nicht, was ist eure Entstehungsgeschichte?
Es gibt einen indirekten Zusammenhang zum Frauenstreik und das ist die Aufbruchstimmung, die zu jener Zeit vorgeherrscht hat.
Aber die Geschichte des Frauenstadtrundgangs geht tatsächlich noch weiter zurück. Einfluss auf die Entstehung nahm die grundsätzliche Forderung von Historiker*innen, endlich auch Frauen als Handelnde in der Geschichte sichtbar zu machen.
Diese Forderung wurde im deutschsprachigen Raum vor allem in den 1980er Jahren mehr und mehr aufgegriffen. An der 5. Historikerinnentagung im Jahr 1988 in Bern wurde nun darüber diskutiert, dass (historische) Frauen im öffentlichen Raum zu wenig sichtbar sind und überlegt, wie dies verändert werden könnte. Kölner Historikerinnen stellten den Frauengeschichtsverein Köln vor, der bereits Stadtrundgänge anbot. Ihr Vortrag wirkte als Initialzündung für ähnliche Projekte in der Schweiz: Baslerinnen führten den ersten Frauenstadtrundgang 1990 durch. Zürcher Historikerinnen und Geschichtsstudentinnen boten den ersten Rundgang dann im Sommer 1991 an. Es folgten weitere Vereinsgründungen in Luzern, Freiburg, Zug, Winterthur, Aarau und Baden.
Unsere Ausgabe widmen wir u.a. auch den wundervollen Frauen, die unermüdlich für das Frauenstimm- und Wahlrecht gekämpft haben. Von all den wunderbaren Frauen, deren Geschichten ihr in euren Rundgängen erzählt, welche ist deine Lieblingsfrau?
Es gibt sehr viele Frauen, die mich durch ihr Leben und ihren Kampf beeindrucken. Ganz besonders beeindruckt mich jedoch Rosa Bloch. Sie ist als Kommunistin in der Arbeiter*innenbewegung aktiv, wird Co-Anführerin vom Hungermarsch 1918 und setzt sich für mehr Frauenrechte ein.
Eure Rundgänge gehen zurück in die Vergangenheit – 100 Jahre, 200, 300 oder sogar 500 Jahre – und erzählen, wie Frauen gelebt und was sie erlebt haben. Als Historikerin weiss ich ganz genau, wie aufwendig die Recherche nach spannenden Quellen ist. Wie geht ihr vor, wenn ihr einen neuen Rundgang schreibt?
Grundsätzlich sammeln und diskutieren wir immer wieder mögliche Themen für neue Rundgänge. Manche Rundgänge entstehen aber auch durch Kooperationen mit anderen Institutionen. Haben wir ein Thema festgelegt, fängt die Recherche an. Wir sammeln zunächst Ideen, Orte und Geschichten, die wir dann in einen sinnvollen Zusammenhang bringen. Um an unsere Geschichten zu gelangen, gehen wir in die Archive und führen Interviews mit Zeitzeug*innen, soweit dies möglich ist. Auch durchforsten wir Zeitungen nach spannenden Geschichten. Und die einzelnen Geschichten verorten wir dann an relevanten Plätzen. Dies können (Wohn-)Häuser sein oder auch öffentliche Plätze, wo spezielle Aktionen stattgefunden haben. Alle unsere Rundgänge sind so angelegt, dass sie historisches Wissen und damit das Wissen über Frauengeschichte in der Stadt verorten.
Mit den Rundgangsstationen schaffen wir so Erinnerungsorte.
Euer Angebot an Rundgängen ist beachtlich – 19 habt ihr mittlerweile in eurem Repertoire. Welcher Rundgang wird am meisten gebucht?
Die Nachfrage nach den verschiedenen Rundgängen wechselt von Jahr zu Jahr und ist sehr abhängig von den gesellschaftlichen Themen, die jeweils bewegen. So war beispielsweise während des Reformationsjubiläums unser Rundgang zu Frauen in der Reformation sehr gefragt. Oft sind es vor allem aber auch unsere neu ausgearbeiteten Rundgänge, die viel gebucht werden.
Neben den Rundgängen bietet ihr auch Führungen und Vorträge in Kooperation mit verschiedenen Organisationen an. Welche Bedeutung hat ein gutes Netzwerk für euch?
Ein gutes Netzwerk ist uns sehr wichtig, denn unser Ziel ist es ja, die Öffentlichkeit für die noch immer fehlende Repräsentation von (historischen) Frauen im öffentlichen Raum zu sensibilisieren. Dies gelingt uns am Besten, wenn wir durch Kooperationen ein Publikum erreichen, das wir mit unseren Rundgängen sonst nicht erreichen würden.
Aber nicht nur für die Reichweite unseres Anliegens ist ein Netzwerk von Vorteil. Nur gemeinsam gelingt es uns, für unsere Anliegen erfolgreich einzutreten. Je grösser unser Netzwerk, desto grösser ist auch unsere Wirkung.
2020 war für viele ein sehr verrücktes und turbulentes Jahr. Wie seid ihr als Verein damit umgegangen? Was nehmt ihr für 2021 mit?
Für uns war der Lockdown zuerst natürlich ein Schock. Alle Rundgänge mussten plötzlich abgesagt werden und wir wussten nicht, wie es weitergehen würde. Nachdem wir den ersten Schock überwunden hatten, entwickelten wir ein entsprechendes Konzept, um nach den Lockerungen wieder Rundgänge anbieten zu können: So schafften wir beispielsweise Mikrophone an, sodass die Teilnehmer*innen ausreichend Abstand halten konnten, und wir beschränkten die Gruppengrösse. Auch wenn wir 2020 deutlich weniger Rundgänge führen konnten, zeigte sich doch auch, dass Stadtrundgänge gefragt waren. Gleichzeitig haben wir aber auch neue Projekte angegangen und entwickeln mit Actionbound eine digitale Alternative zu unseren traditionellen Rundgängen. Mit diesem interaktiven Rundgang können Interessierte selbständig mit Smartphone oder Tablet Zürcher Frauengeschichte entdecken.