HeroineHolistic Issue

“Wir brauchen eine besonnene Gesellschaft, die versucht, achtsam und kreativ aus der Gemeinschaft Neues zu kreieren” – Unsere #heroines Raphaela Pichler und Marisa Burn-Pichler

Cécile Moser

Mit ihrem Think Tank “House of Change” befassen sich die beiden Schwestern Raphaela Pichler und Marisa Burn-Pichler schon seit langer Zeit mit holistischen Ansätzen und Denkweisen. Mit fempop sprachen sie über Rolemodels, die Bedeutung von Communities, warum es auch 2021 turbulent weitergehen wird und warum für sie die Covid-Krise wie ein riesiges Vergrösserungsglas ist.

Liebe Raphaela, liebe Marisa: Was genau steckt hinter eurem Think Tank “House of Change” und wie seid ihr dazu gekommen?
Wir bieten mit dem “House of Change” ein Institut und Think Tank für Kreativität und Wandel an. Im “House of Change” halten wir Platz für die Auseinandersetzung mit den neuen Werten, die die Welt braucht. Kreativität, Vision und Authentizität. Wir bieten Beratung, Workshops sowie Impulsveranstaltungen und Community Think Tanks an, in welchen wir unsere Mandant*innen und Gäste mit verschiedenen Methoden und Werkzeugen in ihrer Kreativität und Beweglichkeit schulen und eine offene, neugierige und authentische Haltung kultivieren.

In unserer langjährigen Arbeit als kreative Consultants und Künstlerinnen haben wir unsere Kund*innen in den Bereichen Digitalisierung, Kommunikation und Innovation beraten. Jedoch wurden diese Projekte und Aufträge oft nicht ganzheitlich betrachtet und verstanden. Dadurch haben wir gemerkt, dass wir vielmehr mit den Leader*innen der Unternehmen als mit den kreierenden, ausführenden Personen  zusammenarbeiten müssen. Als Übersetzerinnen und Aufklärerinnen zeigen wir ihnen auf, was der Zeitgeist bedeutet und wie die neue Kultur gelebt werden will.

Wir sind seit vielen Jahren geübt, uns mit dem Zeitgeist auseinander zu setzen und aus den vorhandenen Elementen etwas Neues zu erschaffen und weiter zu entwickeln. Als Künstlerinnen, Kreateurinnen und Pionierinnen sind wir es gewohnt, uns auf das Unbekannte, auf “das, was wir noch nicht wissen”, einzulassen. Die jeweiligen Methoden und Werkzeuge, die wir in unserem künstlerischen Schaffen nutzen, teilen wir nun im “House of Change” mit Menschen und Institutionen verschiedenster Herkunft, damit sie ihre und unsere Welt innovativ und kreativ mitgestalten können.

Alles, was wir tun hat immer einen Einfluss auf das Ganze. Nichts ist unabhängig.

Mit euren unterschiedlichen Projekten – wie dem  Think Tank und Beratungsunternehmen “BurnPichler – House of Change” und dem Creative Festival “Room of Change” – verfolgt ihr holistische Ansätze, was wunderbar zu unserer Ausgabe passt. Was genau bedeutet das für euch?
Wenn man sich bewusst mit dem eigenen Sein auseinandersetzt, bekommt man einen kleinen Eindruck davon, dass alles zusammenhängt und dass das Leben ein Kreislauf ist. Alles, was wir tun hat immer einen Einfluss auf das Ganze. Nichts ist unabhängig. Aus dieser Erkenntnis heraus kann man die Dinge oder das eigene Sein nur holistisch betrachten. Es gibt kein Zurück mehr, wenn man das einmal erkannt hat.

Für uns ist es wichtig, dass man mit offenen Augen und offenen Herzen unterwegs ist. Sei das in der Arbeitswelt oder im Privaten. Die Frage, wie wir leben möchten, ist für uns und die Arbeit mit unseren Mandant*innen sehr wichtig. Sie beinhaltet für uns den ganzen Menschen, als lebendes Wesen mit Körper, Geist und Seele; mit dem Bedürfnis gesehen und gehört zu werden und sich auszudrücken.

Wir denken, dass gerade das Jahr 2020 noch deutlicher gezeigt hat, wie wichtig es ist, Dinge ganzheitlich anzugehen. Was meint ihr dazu?
Uns kommt es vor, als wäre die Covid-Krise ein riesiges Vergrösserungsglas, das alle Missstände und Ungerechtigkeiten sowie alle Innovationen und was in sich stimmig ist, vergrössert und hervorhebt. So wie die Welt jetzt organisiert ist, wird klar: Die Reichen werden reicher und die Armen verlieren alles. Die Krise kann eine Chance für unsere Gesellschaft sein; sie kann uns helfen, mit neuen, ganzheitlichen Systemen zu experimentieren und zu versuchen, eine nachhaltigere und somit gerechtere Welt zu erschaffen. Zudem wurden viele Menschen durch die Krise auf sich selbst zurückgeworfen; sie waren gezwungen, sich ohne Ablenkung mit sich und ihrem eigenen Sinn und Leben auseinanderzusetzen. Das bringt uns dazu, uns als Ganzes zu verstehen und nach dem zu leben.

Dem Zeitgeist voraus: Die #heroines Marisa Burn-Pichler und Raphaela Pichler

“Mindfulness” ist ebenfalls Schlagwort der Stunde und zentral in eurem Schaffen. Könnt ihr den Begriff für euch erklären – und warum brauchen wir gerade 2021 noch mehr “Mindfulness”?
Mindfulness bedeutet auf Deutsch Achtsamkeit. Achtsamkeit heisst für uns das eigene Moment wahrzunehmen; innehalten und atmen. Achtsamkeit heisst für uns auch, sich dem eigenen Tun bewusst zu sein. Auf die Gefühle, Emotionen, den Körper zu hören und danach auch zu leben. 2021 wird sicher nicht weniger turbulent, deshalb ist es wichtig, den Frieden in sich selber zu finden, damit man diesen auch in die Welt tragen kann. Was wir brauchen, ist nicht noch mehr Panik und Trennung, sondern eine besonnene Gesellschaft, die versucht, achtsam und kreativ aus der Gemeinschaft Neues zu kreieren.

Heute versuchen wir uns nicht mehr so aus der Ruhe bringen zu lassen und gewisse Umstände und Unsicherheiten einfach als Rahmenbedingungen zu akzeptieren, um die wir uns kreativ bewegen können.

Ihr habt es gerade erwähnt: 2020 war für viele ein äusserst herausforderndes und turbulentes Jahr. Wie habt ihr dieses wahrgenommen, und was hat euch in schwierigen Momenten geholfen?
Die Herausforderungen waren gross. Obwohl uns die Thematik ja eigentlich in die Karten spielt und wir genau diese Unsicherheiten schon lange thematisieren, war es für uns als Unternehmerinnen und Veranstalterinnen von Workshops und Community Events auch ziemlich turbulent. Viele neue Projekte mussten abgesagt werden und Neues zu planen war auf Grund der unsicheren Regelungen auch schwierig. Bei der ersten Welle haben wir schnell eine Gruppe mit Kreativ-Unternehmerinnen initiiert, welche sich mit der gemeinsamen Schadensbekämpfung auseinandergesetzt hat. Bald wurde diese Gruppe aber zu einem regelmässigen Treffpunkt, um sich kreativ über neue Ideen und Problemlösungen auszutauschen. Es zeigte sehr schön, dass in der Community so eine grosse Kraft liegt. Heute versuchen wir uns nicht mehr so aus der Ruhe bringen zu lassen und gewisse Umstände und Unsicherheiten einfach als Rahmenbedingungen zu akzeptieren, um die wir uns kreativ bewegen können.

Apropos Community: Welche Bedeutung hat ein gutes Netzwerk für euch – und ist Netzwerken etwas, das Frauen* noch zu wenig tun?
Das Netzwerk ist sehr wichtig. Gerade werden viele Frauen*-Netzwerke initiiert und wir sehen das als einen tollen Fortschritt. Als wir vor 15 Jahren in feministischen Netzwerken aktiv waren, war die Bereitschaft von Frauen* teilzunehmen eine ganz andere. Wichtig ist aber auch, dass wir Netzwerkerinnen werden unabhängig vom Geschlecht. Da gibt es noch einiges aufzuholen und da lohnt es sich sicher auch Vorbilder und Mentorinnen zu suchen, die das schon tun. Neben dem Netzwerk finden wir aber auch eine Community sehr wichtig; ein Verbund der unabhängig vom direkten beruflichen Nutzen nährend und inspirierend wirkt.

Und was inspiriert euch?
Uns inspiriert das Leben. Die hellen sowie die dunklen Momente. Um inspiriert zu sein, braucht es aber vor allem Luft, das heisst Raum und Zeit. Sich Raum und Zeit zu schaffen, ist das Wichtigste. Das machen wir ja auch mit dem “House of Change”; für unsere Gäste schaffen wir Raum und Platz für Inspiration, Ausdruck, Experimente und Veränderung.

Ich war schon an einigen von euren Veranstaltungen – im Atelier am Rennweg, oder auch im wunderschönen Schreber-Garten in Schlieren. Ihr schafft es definitiv, eine ultimative Experience zu bieten, wo sich jede*r wohl und willkommen fühlt – dafür grosses Kompliment, das ist eine echte Gabe. Was ist euer Geheimnis?
Vielen Dank, das freut uns sehr. Es kommt wohl vom jahrelangen Beobachten und achtsam sein, was uns selber gefällt und wo wir uns selber gerne aufhalten und wieso. Wir möchten, dass sich unsere Gäste gesehen und gehört fühlen. Zudem wissen wir auch, wieso wir diese Events machen – und das ist, in unseren Augen, eigentlich der wichtigste Part. Wir wollen Inspiration teilen und einen Funken springen lassen, der die Menschen inspiriert an sich selbst zu glauben und den eigenen Weg zu gehen.

Das alte System ist ausgelaufen und funktioniert nicht mehr.

Warum brauchen auch Firmen, die erfolgreich sein wollen, holistische und kreative Ansätze, und nicht zur Zahlen und Auswertungen?
Der Zeitgeist fordert dies ein. Die Welt und der Mensch verändern sich, sowie auch die vom Menschen kreierten Organisationen und Strukturen. Wir sind nicht mehr bereit, uns mit Prozessen und Produkten aus der Zeit der Industrialisierung zufrieden zu geben. Das alte System ist ausgelaufen und funktioniert nicht mehr.

Bei diesem Kulturwandel unterstützen wir unsere Mandant*innen mit Methoden und Werkzeugen aus der Kunst und Gestaltung. Sich durch unsichere und unklare Welten zu navigieren, funktioniert nun mal am besten mit Kreativität und Flexibilität. Die eigene Vision und der Glaube an etwas Grösseres helfen dabei, sich auf diesem Weg nicht selbst zu verlieren.

Es scheint derzeit langsam einen Wandel hin zu humanerer Wirtschaft, mehr Menschlichkeit oder etwa auch einen offeneren Umgang mit Themen wie “Mental Health” zu geben. Wie nehmt ihr diesen Shift wahr, und wovon braucht die Welt noch mehr?
Man spürt, dass sich etwas tut; u.a. daran, dass der Begriff auch im Bereich Leadership angekommen ist. Dennoch nehmen wir auch wahr, dass es bis jetzt an vielen Orten auch mehr Schein als Sein ist. Aber das ist ein guter Anfang. Auch ein Schein bringt schon einmal Licht ins Dunkel. Wir sehen, dass in jungen Start-ups der Wille gross ist, Hierarchien ganz wegzulassen und allen ein lustiges Umfeld zu bieten. Jedoch geht manchmal die einzelne Person in der absoluten Transparenz-Kommunikation verloren. Humane Arbeit bedeutet für uns, dass der Mensch gesehen und gehört wird, und eine faire und respektvolle Aufgabe erhält in einem Rahmen, der es ermöglicht, diese Aufgabe zu lösen. Humanere Wirtschaft heisst für uns auch, dass Leader*innen den Platz für die Entwicklung des Teams frei halten; Platz für eine wirkliche Fehlerkultur und Innovationen.

Role Models sind super wichtig. Wir glauben an die Kraft der Inspiration, die einen Funken in uns zündet, den wir vielleicht nicht von Anfang an zuordnen können, der uns aber antreibt, Neues zu wagen.

Frauen* mit eigenen Projekten, wie ihr sie habt, sind noch immer seltener anzutreffen als Männer*. Ich finde es extrem inspirierend und beflügelnd zu sehen, wenn andere Frauen* etwas auf die Beine stellen und ihren eigenen Weg erfolgreich bestreiten. Ich denke dabei auch an die Wahl von Kamala Harris, die mich – und wahrscheinlich die halbe Welt – extrem berührt hat…
Uns geht es genauso. Role Models sind super wichtig. Wir glauben an die Kraft der Inspiration, die einen Funken in uns zündet, den wir vielleicht nicht von Anfang an zuordnen können, der uns aber antreibt, Neues zu wagen. Wir sehen das auch immer wieder an unseren Talks: Die Besucher*innen sind oft fasziniert und inspiriert von unser Talkgästen – und für viele wird es schon eher realistisch einen solchen Weg auch zu gehen, wenn sie ihn bei jemand anderem gesehen haben.

Marisa Burn-Pichler und Raphaela Pichler führen gemeinsam “House of Change”

Es scheint, als hättet ihr eure Leidenschaft zu eurem Lebensinhalt machen können. Was ratet ihr Menschen, die das ebenfalls tun oder verfolgen möchten?
Wir raten ihnen als erstes den Begriff “Leiden/Schaft” mit Passion zu ersetzen. Für etwas zu leiden, das man passioniert macht, nur, weil man damit auch noch Geld erwirtschaften möchte, ist nicht gut. Des Weiteren raten wir, der eigenen Intuition zu folgen und eine klare Vision zu kreieren, wohin die eigene Arbeit führen soll. Zudem sind der Austausch und die Zusammenarbeit mit inspirierenden Personen extrem wichtig.

Wir versuchen, viel Ruhe und Mitgefühl in unser Leben zu integrieren; eine gute Balance zu finden für Körper, Seele und Herz.

Auch erweckt ihr den Eindruck, sehr ausgeglichen zu sein. Habt ihr noch ein paar Tipps, wie dies gelingt?
Wir sind natürlich genauso gestresst wie jeder andere Mensch auch. Wir versuchen jedoch, viel Ruhe und Mitgefühl in unser Leben zu integrieren; eine gute Balance zu finden für Körper, Seele und Herz. Bewegung – wie Yoga und tägliche kurze Meditationen am Morgen – hilft uns, geerdet in den Tag zu starten. Wir verbringen auch viel Zeit in der Natur und in unserem Garten, was eine entschleunigende Wirkung hat. Neben den Aufträgen legen wir viel Wert darauf, unsere eigenen künstlerischen Projekte umzusetzen und uns auch musikalisch auszudrücken. Wir schaffen uns aktiv Ruhezonen ohne Arbeit und E-Mails.

Im Januar findet zum zweiten Mal euer “Room of Change” Festival statt. Was erwartet uns da?
Ja wir freuen uns sehr auf unser zweites Festival! Die Teilnehmer*innen erwartet ein spannender und erlebnisreicher Monat voller Workshops, Talks, Atelier-Besuche und Community Events rund um die Themen Kreativität & Transformation – sowohl online als auch physisch. Das Programm richtet sich an alle interessierten Menschen, die sich mit den Themen Wandel, Zeitgeist und Kreativität auseinandersetzen. Es gibt Kreativ-Workshops für die persönliche Entwicklung sowie ganze Weiterbildungen im Bereich digitale Kultur für Leader*innen, die neue Wege suchen, um in ihrem Arbeitsalltag kreativer und innovativer mit ihren Mitarbeitenden zu arbeiten.

Das genaue Programm erscheint im Dezember und wir freuen uns über ganz viele Besucher*innen und hoffen, einen Funken der Inspiration zu entzünden damit, wir alle inspiriert ins neue Jahr starten.

Weitere Infos zu den #heroines Raphaela Pichler und Marisa Burn-Pichler findet ihr unter www.burnpichler.ch!

Photocredits: Mirjam Kluka