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Vo Da. – Gemeinsam gegen Diskriminierung und Rassismus

Sandra von Euw

Die beiden Gründer Dembah Fofanah und Ben Pauli

Kein Thema steht momentan so im medialen Fokus wie Rassismus. Das neue Zürcher Kollektiv “Vo da.” mischt im Kampf für mehr Gerechtigkeit gehörig mit und stellt längst überfällige Missstände an den medialen Pranger!

Auf die Frage “Vo wo chunsch du?” folgt in der Regel die Nennung einer Ortschaft, eines Landes oder einem einfachen “Vo da”. Damit wäre die Frage eigentlich beantwortet. Eigentlich. Denn für Menschen, die einen vermeintlich “nicht-schweizerischen” Namen und/oder vermeintlich “nicht-schweizerisches” Aussehen haben, geht es erschreckend häufig mit der Frage “Nei, ich meine, vo wo chunsch du würkli?” weiter.

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"Wieso heissed ihr eigentli 'Vo da.'?" Betroffene von Diskriminierung und Rassismus in der Schweiz sind sehr divers. Jedoch werden sie fast alle immer wieder auf ihre vermeintlich "nicht-schweizerischen", "fremden" Namen und/oder Aussehen angesprochen oder sogar darauf reduziert, was sehr verletzend und würdelos sein kann. Als kleinster gemeinsamer Nenner und somit grösste verbindende Gemeinsamkeit identifizierten wir die wiederkehrende Konfrontation mit der Frage "Vo wo chunsch du?" – in der Regel gefolgt von: "Nei, ich meine, vo wo chunsch du würkli?". Wenn auch wohl meist keine böse Absicht dahinter steckt, wird von den Fragesteller*innen damit suggeriert "Du bist nicht von hier" oder "Du gehörst eigentlich nicht hierher". Der befragten Person wird dadurch klar gemacht, dass ihre Zugehörigkeit zur Schweiz angezweifelt oder gar für ausgeschlossen gehalten wird. Dieser Unterscheidung und Einteilung von Menschen liegen stereotypisierte und klischeebeladene Denkmuster und Weltanschauungen zugrunde, die bestimmte Vorurteile gegenüber bestimmten Menschen weiter aufrechterhalten. Weiterlesen… Link in Bio. #alltagsrassismus #vowochunsch #woherkommstdu #vonhier #vorurteile #mirsindvoda

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Immer und immer wieder die gleichen Antworten zu geben und sich immer und immer wieder erklären zu müssen, davon haben neben vielen Betroffenen auch Dembah Fofanah (28) und Ben Pauli (26) genug. Noch bevor Black Lives Matter die Schlagzeilen der Welt beherrschte, haben sie ihre Arbeit aufgenommen.

Zusammen gründeten sie Anfang Jahr das Kollektiv “Vo da.” und gingen am 7. Mai 2020 mit ihrem Instagram-Account @mirsindvoda live. Als Ziel haben sie sich die konsequente Benennung von Diskriminierung und Rassismus in der Schweiz vorgenommen und damit treffen sie den Nerv der Zeit. Betroffene sind durch die Sozialen Medien so eng vernetzt wie noch nie und ein Austausch ist innert Sekunden möglich. Tausende haben sich seither über Instagram, Facebook und Twitter beim Kollektiv gemeldet und ihre Geschichte erzählt. Seither folgt ein Post dem anderen, Projekte werden lanciert und medienwirksam auf Missstände aufmerksam gemacht. So zum Beispiel auf die kolonial-rassistischen Überbleibsel von Zürich.

Kolonial-rassistische Überbleibsel
In vielen Schweizer Städten sind noch immer Spuren aus längst vergangenen Zeiten vorhanden, die von allen gesehen aber nur von wenigen kritisch hinterfragt werden. Nicht so vom Kollektiv “Vo da.”. In einem offenen Brief an Katrin Gügler, Direktorin des Amts für Städtebau, vom 6. Mai 2020 fordern sie die Änderung der rassistischen Häusernamen dreier Liegenschaften im Zürcher Niederdorf. “Zum kleinen Mohren”, “Zum kleinen Mohrenkopf” und “Zum Mohrentanz”, so heissen sie. Alle sind gut sichtbar beschriftet und als wäre das nicht genug, ist auf der Liegenschaft am Neumarkt 22 auch noch ein rassistisches Wandbild angebracht. Als Antwort gab das Amt für Städtebau unter anderem folgendes: “Der problematische, rassistische Hintergrund der Namen und der Darstellung ist offensichtlich.” Das würde doch für deren Aufhebung sprechen, oder? Weitgefehlt! Die Namen seien nämlich für die “aktive Vergangenheitsbewältigung” wichtig und sollen daher beibehalten werden. Wtf?

So dachte auch das Kollektiv “Vo da.”, ging noch einen Schritt weiter und wandte sich direkt an die Stadtpräsidentin Corine Mauch. Bei ihr schienen die Forderungen sofort auf Gehör zu stossen. Sie liess dem Kollektiv mitteilen, dass der Stadtrat eine neue Projektgruppe gründen würde. Diese stehe unter der Führung des Leiters der “Integrationsförderung der Stadt Zürich”. Ziel der Gruppe sei es, Handlungsmöglichkeiten in diesem und ähnlichen Fällen zu erarbeiten. In den Prozess sollen auch “zivilgesellschaftliche Akteure” wie das Kollektiv “Vo da.” miteinbezogen werden. Die versprochene Kontaktaufnahme für ein erstes Treffen steht aber leider auch nach über einem Monat noch aus. Liebe Stadt, wir alle warten und sind gespannt auf eure Lösungen!

Häuserfassade im Zürcher Niederdorf

Hallo Migros
Ein weiteres, grosses Anliegen von “Vo da.” ist diese Geschichte hier: Als am 15. Juni 2020 das Migros Magazin unter dem Titel “From Balkan with Love” mehrere Artikel veröffentlichte, die Menschen mit Wurzeln im Balkan und deren Alltag in der Schweiz porträtierten, ging leider ordentlich etwas schief.

Kurz etwas zum Migros Magazin: Das Migros-Magazin erscheint wöchentlich, ist gratis und hat eine unglaubliche Reichweite von 2,371 Millionen Leser*innen! 2’371’000, das sind mehr als 27% der Schweizer Bevölkerung!

Item: Die Reaktionen auf die erwähnte Balkan-Ausgabe waren zahlreich und fielen zuweilen sehr heftig aus. Viele Leser*innen mit Migrationshintergrund fühlten sich vor den Kopf gestossen – und zwar kräftig! Viele dieser Menschen mit Wurzeln im Balkan sind nämlich von hier, sie sind auch Schweizer*innen und/oder der Schweiz zugehörig. Dies wurde leider – bewusst oder unbewusst – an keiner Stelle erwähnt. Genau in dieser rassistischen Unterscheidung / in diesem Vorurteil und dem Absprechen von Zugehörigkeit liegt das Problem!

Das Kollektiv “Vo da.” fühlte sich in der Pflicht zu handeln. In ihrem offenen Brief an die Migros vom 30. Juni 2020 betonen sie, wie sehr die Artikel, objektiv betrachtet, rassistisch diskriminierend sind. Denn sie unterscheiden Menschen aufgrund von (zugeschriebener) Herkunft, Sprache, “Ethnie” und “Kultur” und weisen einer vermeintlich homogenen Gruppe (“die Balkaner” – so der Worlaut im Migros-Magazin…) eine Vielzahl bestimmter Eigenschaften bzw. ein beschränktes Potential zu. Sie sprechen dadurch tausenden von Menschen ihre Individualität und ihre Einzigartigkeit als Mensch ab und befeuern Vorurteile und Klischees mittels Stereotypen. Diese Diskriminierung von Menschen ist eine Form von Rassismus.

Und wie hat die Migros reagiert? Statt mit einer öffentlich abgedruckten Stellungnahme der Verantwortlichen des Migros-Magazins, genügten der Migros offenbar die kleinen Statements auf Facebook von Nina, der Social-Media-Beauftragten. Come on Migros, you can do better!

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Hallo @migros Am 15. Juni erschien die 25. Ausgabe des Migros Magazins 2020. Die Titelstory „From Balkan with Love“ mit Artikeln wie u.a. „Das haben sie uns gebracht“ und „Gömmer Migros?“ sowie die dabei verwendete Bildsprache sorgten zu Recht für Empörung unter zahlreichen Leser*innen. Wir können nur mutmassen, welche Ziele die Redaktion und die Autor*innen mit diesen Artikeln verfolgt haben. Aber was gemäss späterer Aussage Ihres Social-Media-Teams zwar gut gemeint gewesen sei, ist rassistisch diskriminierend gegenüber Menschen mit einer Herkunft oder mit Wurzeln im Balkan. Zahlreichen Klischees bedienend, wurde der Stereotyp des autoleasenden und trainerhosentragenden „Balkaner“ hochstilisiert. Diese „Balkaner“ scheinen den Artikeln nach eine homogene „Gemeinschaft“ zu sein, die wohl nur aus Männern besteht, die sich nicht mit korrektem Deutsch auszudrücken wissen. Eine Diskriminierung und ein Schlag ins Gesicht all derjenigen Menschen mit Herkunft oder Wurzeln im Balkan, die hier zuhause sind, sich der Schweiz zugehörig fühlen und sich im Beruf und/oder in ihrer Freizeit tagtäglich für die hiesige – und dadurch ja auch ihre eigene – Gesellschaft einsetzen. Weshalb immer wieder dieselben Vorurteile bedienen und Mitmenschen hiermit willentlich ausgrenzen? Diese erfahren so aufgrund nicht-wählbarer Attribute wie Herkunft, Hautfarbe, usw. immer wieder Stigmatisierungen. In Ihrem Special ist von „ihnen“ und „uns“ die Rede. Wir fragen uns und Sie konkret: Wer ist eigentlich „wir“ und wer sind „sie“? Weshalb dürfen „die“ nicht zu „uns“ gehören? Weiterlesen… Link in Bio. #migros #migrosmagazin #vorurteile #gegenrassismus #nodiscrimination #mirsindvoda

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We stand together
Wir sagen DANKE, lieber Dembah und lieber Ben, dass ihr diesen längst überfälligen Kanal gegründet habt und ihn mit so viel Herzblut vorantreibt. DANKE für euren unermüdlichen Einsatz und Mut, kritische Fragen nicht nur zu stellen, sondern auch auf deren Beantwortung zu beharren.

Wenn auch du Teil des Kollektiv “Vo da.” sein möchtest – melde dich via hey@mirsindvoda.ch bei ihnen und hilf mit, dieses menschenfeindliche Konstrukt zu überwinden!

www.mirsindvoda.ch

Photocredit: “Vo Da.” & Timo Raddatz