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Cardi B und die Kraft der tropfenden Vagina

Sibylle Egloff

Das Musikvideo zur neuen Single “WAP” der US-Sängerin hält mehr bereit als derbe Sprüche und provozierende Posen – es verleiht Frauen ein neues Verständnis von Macht, die im Schlafzimmer beginnt.

Die Tore öffnen sich und ein prunkvolles Anwesen kommt zum Vorschein. Der Springbrunnen vor der Villa besteht aus zwei sich drehenden nackten Frauenfiguren. Wasser spritzt ihnen aus den Brüsten. Eine Wasserladung fliesst wie ein Sturzbach über die Treppen, die hoch zum Hauseingang führen. Die Hausherrinnen sind Sängerin Cardi B und Rapperin Megan Thee Stallion. Die beiden amerikanischen Superstars räkeln sich knapp bekleidet in einem babyblau-farbenen Korridor, der mit goldenen Hinterteilen und Brüsten versehen ist. Der Beat setzt ein. “There’s some whores in this house”, heisst es immer wieder.

Willkommen im allerneusten Musikvideo von Cardi B, das letzte Woche erschienen ist und bereits 86 Millionen Aufrufe auf Youtube verzeichnet. Der Song zum meist angeklickten Video der letzten Tage heisst “WAP”, ein Akronym für “wet-ass pussy” zu Deutsch “Arsch nasse Muschi”. Und genau diese von sexueller Erregung dermassen feucht tropfende Vagina, die das Wischen des Bodens mit dem Mopp nötig macht, zelebrieren die beiden Damen. Sie singen von ihren sexuellen Wünschen, geben Männern eine Anleitung, wie diese ihre “wet-ass pussies” behandeln sollen und präsentieren ihre Körper im Wasser, auf Sand, mit Schlangen und Raubkatzen sowie in engen Neon- und Animal-Print-Outfits, die nichts mehr der Fantasie überlassen. Und als wären die Zuschauenden und Zuhörenden nicht bereits mit den derben Texten, dröhnenden Beats und nackten Tatsachen bedient, tauchen ganz nebenbei auch noch Kim-Kardashian-Schwester und Social-Media-Queen Kylie Jenner, die spanischen Sängerin Rosalía oder die US-Sängerin Normani im Anwesen auf. Ein werbetechnisch kluger Schachzug von Cardi B, die berühmten Frauen im Video zu integrieren – alle haben mehrere Millionen Follower auf Instagram.

Cardi B liefert mit diesem Musikvideo massig Gesprächsstoff. Die nackte Haut, die expliziten Posen und die detaillierte Beschreibung sexueller Handlungen stossen mit Sicherheit nicht überall auf Gegenliebe. Auch der Fakt, dass das Video in einem Bordell spielt und geschlechterspezifische Klischees – Frau geht anschaffen und Mann kommt als Freier – bedient werden oder dass Cardi B ihre Vorbildfunktion bei Jugendlichen in diesem Song an ihrer feuchten Muschi vorbeigeht, dürften für Kritik sorgen. Doch es gibt auch zahlreiche positive Meldungen. So findet etwa Schauspielerin und Oscarpreisträgerin Viola Davis das Video toll und repostete dazu ein Bild auf Instagram, das ihren Kopf auf dem Körper von Kylie Jenner zeigt. Auch Frauenärztinnen scheinen Freude am feuchtfröhlichen Video zu haben. Die amerikanische Gynäkologin Jennifer Gunter sieht darin sogar Aufklärungsarbeit. Sie habe viele Patientinnen, deren Partner sich über ihre zu nassen Vaginas beschweren würden, schreibt sie auf Twitter und empfiehlt das Video als beschleunigte Paartherapie.

Über den Sinn und Zweck von Cardi Bs neuem Werk kann man sich streiten. Doch eines steht ausser Zweifel: Die Kraft und die Energie, die der über vier Minuten langen Ode an die weibliche Sexualität, innewohnt. Zwar spielt das Video in einem Freudenhaus. Schliesslich wiederholt Al “T” McLaran die Zeilen “There’s some whores in this house”, immer wieder. Doch kein einziger Mann ist darin zu sehen. Cardi B braucht keine Männer, um weiblichen Sexhunger darzustellen. Frauen, die erfreulicherweise keine Size-Zero-Figuren haben, zeigen wo es lang geht und was sie sich im Bett wünschen. Wenn Männer über ihre Sexualität singen, dann geht das in Musikvideos oftmals nur mit der Zurschaustellung des weiblichen Körpers, mit wackelnden Ärschen und Harems, die tanzen, Party feiern und Frauen, die sich an die Herren der Schöpfung schmiegen. Doch in “WAP” machen Cardi B und Megan Thee Stallion deutlicher denn je, dass die Zeit der schnurrenden Hauskatze vorbei ist und die Raubkatzen nun aktiv den Ton angeben.

Der Brachialfeminismus verleiht Kraft und kann motivieren, als Frau für die eigenen Bedürfnisse einzustehen – eben auch im Bett.

Photocredit: Vulture