CultureQueer TalkValentine's Issue

Queer Talk, Vol. 6: Du bist selbst schuld!

Rico Schüpbach

Er nervt. Der neoliberale Diskurs, der alles, aber auch wirklich alles in die persönliche Sphäre drängt und die Verantwortung für strukturelle Defizite schön aufs Individuum abwälzt.

Du bist arm, fühlst dich diskriminiert und auch sonst im Elend? Tja, selbst schuld. Mehr Leistung, bitte schön. Wir leben schliesslich in einer Leistungsgesellschaft – und nicht auf dem Ponyhof. Time is money und so. Das gilt auch im Spätkapitalismus. Du musst halt noch eine weitere Sprache büffeln, am besten gleichzeitig noch ein Fernstudium absolvieren und jeden Abend deinen schlaffen Körper ins nächste Gym schleppen und auf Hochtouren trainieren. Zum Ausgleich dann noch täglich einen Meditationspodcast – selbstverständlich bezahlt – aufs Ohr und noch ein, zwei Stündchen Yoga praktizieren. Work hard, play hard – du weisst schon. Wenn’s dann immer noch klemmt mit dem Traumleben, ja dann weiss ich auch nicht. Vielleicht helfen Psychopharmaka?

Oder vielleicht hast du halt einfach Pech gehabt und bist im globalen Süden auf die Welt gekommen, oder hast genetisch in die Kloschüssel gegriffen. Aber auch dann! Du musst dich halt mal anstrengen da unten und nicht immer auf Opfer machen. Du Opfer!

Junge Homosexuelle weisen ein höheres Suizidrisiko auf als gleichaltrige Heterosexuelle, da sie oft unter Schikanen und fehlender Unterstützung zu leiden haben. Ach, papperlapapp. Haben wohl die Eltern ihren Job nicht richtig gemacht, man muss sich halt wehren und selbst nicht so runterziehen lassen. Ä Chlapf zum Gring het no niemerem gschadet.

Die Ehe für Alle oder eben Schwulen-Ehe könnte man aber schon mal in Betracht ziehen, ist schliesslich wieder ein neues Geschäftsfeld, dass da aufgeht. Hochzeits-Firlefanz ahoi. Und wenn man die Leihmutterschaft auch gleich legalisiert, könnte man den ganzen Gender-Reveal-Baby-Shower-Shit noch mehr pushen. Pinke Windeltorte, here we go. Praktischerweise verdienen zwei Männer dank unerklärbarem Lohnunterschied wie von Zauberhand ein bizli mehr. So können sie auch mehr konsumieren.

Und wenn wir schon dabei sind: Der unerklärbare Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen? Führungspositionen mehrheitlich männlich besetzt?

Ja, Ladies, genau wie bei den Schwulen, Lesben und anderen Falschsexuellen gilt: Jetzt gebt halt mal Gas. Oder wie es Sheryl Sandberg sagt: Lean in! Auf den Tisch klopfen und nicht immer jammern und klönen. Machismus, Sexismus, Gewalt, Machtpositionen? Ach, kommt schon, alles Erfindungen von linksversifften, staatlich finanzierten Gender-Expert*innen/LGBT*innen. Da muss man selbst ran an die Säcke.

Oder habt ihr etwa keine Eier? Ärmel hoch, Protein-Drink rein und los geht’s. Es hiess schon immer: Nur der Stärkste überlebt. So ist die Welt. Knallhart.

Happy Valentine’s Day.