CultureParty IssueTV + Film

Ein Hoch auf die Binge-Watch-Party – am besten in den Achtzigern

Rahel Zingg

Faul rumsitzen und sich passiv berieseln lassen? Blödsinn. Warum es eine fantastische Zeit ist, um Serien-Junkie zu sein. Also: Auf in die Vergangenheit und die rauschenden Achtziger.

Zwei junge Frauen fahren im Cabriolet in den zartrosa Sonnenuntergang. Im Hintergrund erklingt dazu Belinda Carlisles sülziger Synthie-Hit “Heaven Is a Place on Earth”. So endet die mit zwei Emmys ausgezeichnete Episode “San Junipero” der Netflix-Serie “Black Mirror”.

Meine Lieblingsfolge. Wegen dem Plot – natürlich – aber auch der Musik, der Neon-Lichter. Der Ästhetik. Seither – die Folge wurde 2016 ausgestrahlt – ploppten immer mehr Achtzigerjahre-Serien auf. Ihnen gemein: eine ungemeine Power. Eine ewige Party.

Glow-in-the-Dark-Einstellung
Da gibt es zum Beispiel “Glow” (Staffel 1, 2017 und Staffel 2, 2018). Es gibt viele Momente, in denen man dem Erfinder oder der Erfinderin von Stretch und Spandex danken möchte. Ob das beim Anschauen von der Wrestling-Serie auch der Fall ist – und wie! Ruth Wilder und ihre Kolleginnen, die allesamt keine professionellen Wrestlerinnen sind, müssen plötzlich in den Ring. Um ihre eigenen Träume von einer Karriere und Unabhängigkeit zu erfüllen und gleichzeitig den Erwartungen eines Marktes zu entsprechen, der sie vor allem auf Stereotype und ihre Körper reduziert (Staffel 3 folgt im August 2019).

Ewig galten die Achtziger, als Jahrzehnt, das den Geschmack vergessen hatte. Beklagt wurden groteske Frisuren, rumpelnde Synthesizer und zahllose Modeverbrechen. Nach den aufgeheizten Siebzigern war Abkühlung angesagt, und Coolness in den Achtzigern deshalb das oberste Gebot. Das Licht musste Neon sein, und die Fassaden mussten spiegeln, damit keiner das dunkle Herz dahinter erspähen konnte.

Lieber früher als spät
“Die Vergangenheit ist nicht tot, sie ist nicht einmal vergangen”, hat William Faulkner 1951 geschrieben. Der Satz war nie so wahr wie heute. Wir sind umgeben von Menschen und Dingen, die nicht abtreten wollen. Zum Glück! Also schwelgen wir. In einer nicht enden wollenden Epoche. In einer Zeit, die ich gar nicht erlebt habe. Klar war früher nicht alles besser, aber in den Achtzigern war zumindest mehr Lametta.

Früher war mehr Vogue
Und Lametta gibt es bei der Serie «Pose» en masse (Staffel 1, 2019). Die ist so gut, dass sie als Kostümfilm, Minderheitendrama oder Coming-of-Age-Film funktioniert und gleichzeitig viel mehr ist. “Pose” taucht tief ein in die New Yorker Subkultur namens “Ballroom”. Die existiert noch heute und wurde 1990 erstmals weltweit zum Gespräch, durch den Kultdokumentarfilm “Paris is Burning”, der die Tür zu diesen opulenten Bällen weit aufstiess.

Von der Gesellschaft mehrfach marginalisiert, gründeten die schwarzen und latino-amerikanischen Schwulen, Transfrauen und Dragqueens die sogenannte Houses, die vielen auch als Ersatzfamilie dienten, und organisierten Bälle, um eine glanzvolle Welt zu imitieren, die ihnen verschlossen war. Walk and walk and walk – and pose!, zu diesen Stakkato-Befehlen konkurrieren sie in Kostümierungen um Trophäen und Status.

Dabei haben sie aus den Modelposen, wie sie in Magazinen wie Vogue zu sehen sind, einen Tanzstil erschaffen – das “Voguing”. Möglichst selbstbewusst erscheinen, das ist das Wichtigste, um in diesem Wettbewerb zu bestehen. So wurde die Verkörperlichung der dominanten Kultur zur Selbstbehauptung: Sich nehmen, was einem nicht gegeben wird.

Wir feiern einen Fortschritt
“Pose” malt nun, quasi als fiktionales, auf acht Folgen gestrecktes Pendant zu “Paris is Burning”, den Alltag in dieser Community zu dieser Zeit aus. Die Serie ist ein historischer Erfolg, nicht allein, weil in ihr erstmals schwarze Transfrauen die Hauptrollen spielen, sondern auch, weil sie auf vorbildliche Weise die Subkultur, von der sie erzählt, in die Produktion eingebunden hat.

Triumphale Bilder aus rauschenden Ballnächten und nach jeder Folge fühlt man sich empowert und wegen der überwältigenden Szenen, in denen es um den Beginn der AIDS-Epidemie geht, gleichzeitig ausgelaugt. Aber vielleicht kommen sie auch darum immer wieder, die Achtziger. Weil sie eben noch nicht vorbei sind. Der damals begonnene Kampf um Akzeptanz eben noch nicht gewonnen und so gegenwärtig wie nie.

Photocredit: COURTESY OF FX