DesignYouth Issue

Meine Versöhnung mit der Designwelt

Carina Iten

Ich hatte eine Beziehungskrise. Eigentlich liebe ich Design. Design liess mich immer wundern, staunen und träumen. Es verführte, provozierte und verwirrte mich. Manchmal legte es mir wundervolle Bilder in den Kopf – oder stellte nachhallende Fragen, die tagelang ihre Kreise zogen, bis ich mich in ihnen verloren hatte. Dann kam der Tag, wo mir Design fremd wurde, bis ich nicht mehr wusste, wer es überhaupt noch war. Und in mir kam die Angst auf, dass es mich womöglich belogen und hintergangen hatte.

Oder anders gesagt: Bewegt man sich tagtäglich im Designkosmos, wird man ein wenig abgestumpft, vielleicht sogar blind. Man hinterfragt die Dinge nicht mehr, sondern nimmt sie hin, wie sie sind. Erst als ich Anfang April die internationale Möbelmesse in Mailand (Salone del Mobile) besuchte und durch die Hallen schlenderte, in welchen Firmen aus aller Welt ihre neuen Produkte präsentierten, fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Ich sah all die unzähligen neuen Möbel und Wohnaccessoires auf einem Fleck und fragte mich: Was um Himmels Willen mache ich hier und wer braucht all diese Produkte? Hier standen Stühle, Tische und Teppiche in hundertfacher Ausführung – aber die Produkte boten kaum einen Mehrwert, sie waren lediglich eine moderne Kopie der letztjährigen Version. Und im kommenden Jahr werden sie bereits veraltet sein.

Es zeigte mir so deutlich, dass wir leider in einer noch meist unreflektierten Konsumwelt leben. Ich finde nicht, dass wir radikal auf Möbel oder Wohnaccessoires verzichten sollten, schliesslich lassen diese Produkte unsere Welt auch bunter, fröhlicher und individueller gestalten. Ich freue mich, wenn ich abends nach Hause komme und auf meinem türkisfarbenen Sofa zwischen weichen Kissen ein Buch lese, morgens meine Vorhänge mit Dschungelmotiv aufziehe, frische Blumen in die runde Vase stelle oder über die weichen Fasern des Tigermotiv-Teppichs laufe. Aber wir müssen ein neues Verständnis für Wohnprodukte finden. Genauso wie in der Modebranche, braucht es auch hier ein Umdenken. Wir sollten nicht ungehemmt neue Möbel und Wohnaccessoires produzieren und konsumieren, sondern uns fragen, wie können wir die Umwelt mit neuen Produkten schonen, schützen und ja, auch verschönern. Doch leider geht dieser Gedanke – nicht nur an Möbelmessen – meist unter.

Cooking New Material – Youyang Song

Ich war mit der Designwelt wieder versöhnt. Denn die junge Generation folgt nicht blind alten Strukturen. Sie sucht neue Wege, sie ist mutig, progressiv und experimentierfreudig. Und vor allem: Sie denkt nachhaltig und das macht mir mehr Freude als ein neues Wohnaccessoire.

In derselben Woche entdeckte ich in der Via Tortona die Ausstellung des Newcomer Awards ein&zwanzig. Auf den ersten Blick schien es wieder eine Ansammlung gängiger Wohnprodukte zu sein, bis ich die Akustik-Paneele von Anna Drewes und Dario Iannone genauer betrachtete. Die Schall absorbierenden Akustik-Paneele sind aus gänzlich organischen Bananen- und Maulbeerbaumfasern und bekommen von der Indigopflanze ihre blaue Färbung. “Es gibt nicht den einen richtigen Weg zu einer nachhaltigeren Zukunft”, betonte die Designerin Anna Drewes. “Visionäre Strategien und spekulatives Design sind genauso wichtig, wie Materialforschung oder ein Blick auf den kulturellen Wandel.”

Fliesen – Laura van de Wijdeven

Auch die Chinesin Youyang Song überraschte mit dem Projekt “Cooking New Material”. Sie perfektioniert ein Verfahren, mit dem Bio-Abfälle zu flexiblen, lederähnlichen Materialien verarbeitet werden können. Bananen- und Orangenschalen werden so mit einem natürlichen Binder zu einem Komposit-Material verwandelt. Das Ergebnis ist ein zu 100% “no waste”-Naturprodukt, das zu unterschiedlichen Produkten wie etwa Taschen verarbeitet werden kann.

Oder die Niederländerin Laura van de Wijdeven, die Fliesen entwickelt, die zu 50 Prozent aus Forbo-Jutefaser bestehen. Durch die Kombination mit Gips entstehen starke Fliesen mit unterschiedlichen Mustern, die als Wand- oder Bodenverkleidung genutzt werden können. Weiter präsentierten die Israeli Gal Bulka und Ori Shifrin Anavi eine drehbare Schreibtischleuchte. Die Pendelleuchte “Marvin” kann auf jede beliebige Weinflasche aufgestülpt werden, die damit als Standfuss funktioniert.

Marvin – Gal Bulka und Ori Shifrin Anavi

Inmitten all dieser tollen Ideen stand der Gewinner, der mit dem Preis “Best of Best” ausgezeichnet wurde: Ein Klappstuhl aus Kunststoff. Meine Enttäuschung wurde aber schnell gemildert. Der “DFC – Dynamic Folding Chair” ist der weltweit erste Klappstuhl, der sowohl statisches als auch dynamisches Sitzen ermöglicht. Damit bekommt der Klappstuhl, der oftmals als billiges Wegwerfprodukt produziert wird, eine neue Wertigkeit. Und der Designer Simon Frambach sagte dazu: “Auch ein Klappstuhl aus Kunststoff kann nachhaltig sein – wenn er langlebig gestaltet ist, über Generationen weitergegeben wird und am Ende dieses Zyklus aus zerlegbaren und recycelbaren Komponenten besteht. Erst wenn man die Wertschöpfungsketten wirklich versteht, kann man die richtigen, überlegten Impulse setzen.”

DFC, Dynamic Folding Chair – Simon Frambach

Ich war mit der Designwelt wieder versöhnt. Denn die junge Generation folgt nicht blind alten Strukturen. Sie sucht neue Wege, sie ist mutig, progressiv und experimentierfreudig. Und vor allem: Sie denkt nachhaltig und das macht mir mehr Freude als ein neues Wohnaccessoire.