Darf ich vorstellen? Sie. Sie heisst Sibylle Berg und euch herzlich willkommen zum Ende der Welt.
Die deutsch-schweizerische Autorin Sibylle Berg kann hart. Extrem hart. In ihrem neuen Roman GRM – Brainfuck (nach Grime, dem elektronischen Musikstil). 640 Seiten lang führt sie uns ein in eine realistische, wenn auch höchst düstere Verlängerung der Gegenwart: Desolat, mörderisch, kalt. Die Geschichte spielt im englischen Rochdale. Es regnet ununterbrochen. Der Brexit ist vollzogen, die englische Wirtschaft in der Hand chinesischer Firmen. Polizei und Militär sind privatisiert. Im Himmel über den Städten wimmeln sich Drohnen. Die von einer IT-Mafia gelenkte Regierung beschliesst ein Mindesteinkommen für alle Bürger – jedoch nur, wenn man sich einen Chip mit seinen sämtlichen persönlich-medizinischen Daten einpflanzen lässt. Berg zeichnet ein Bild einer nicht ganz so fernen, furchtbaren und einer – so furchtbar sie auch ist – im Bereich des Möglichen liegenden Zukunft. Einer, in der sie die Hauptrolle spielen.
Darf ich vorstellen? Die. Die sind die Mitglieder der neu definierten Generation Z. Das Ende des Alphabets. Das Ende der Nahrungskette, gut erforscht, um Produkte besser verkaufen zu können. Sie sind die zweite Welle von Digital Natives. Verbunden mit digitaler Technologie. Die Darsteller-Generation. Gemäss Berg seien sie in Ermangelung irgendeiner Perspektive (das Ende der Welt) zu solchen Selbstdarstellern geworden. Denn je voller die Welt wurde, je austauschbarer die Menschen, umso verzweifelter der Wunsch, gesehen zu werden.
Die vier. Don, Hannah, Karen und Peter, alle aus kaputten Familien, missbraucht von Erwachsenen, ignoriert vom System, bilden den roten Faden des Romans. Die vier Kinder aus desolaten Verhältnissen tun sich zusammen. Was sich an Perversem, Gemeinem und Katastrophalem denken lässt, stösst ihnen zu: Attentäter, die mit Macheten zufällige Passanten zerlegen, eine Bande pakistanischstämmiger Männer, die junge Mädchen als Sexsklavinnen halten, ein Hochhausbrand in London, dem Dutzende von Menschen zum Opfer fallen. Jedes Erlebnis nimmt die schlimmstmögliche Wendung. Elend bis zum Erbrechen. Unglücklich ist niemand. Glücklich auch nicht. Die Ausweglosigkeit darin spiegelt eine mögliche Realität. Knallt sie der Leserin ohne Schnörkel und ungeschönt vor.
Darf ich vorstellen? Ich, die Leserin. Doch wer bin ich eigentlich? Ich gehöre zu einer Generation, die viele Namen hat. Man nennt uns Millennials, Digital Natives, Generation Y oder einfach Praktikant_innen. Zugehörig fühlen wir uns keinem. Vielleicht, weil wir alle Möglichkeiten haben und uns deshalb gar nicht festlegen müssen. Was uns vereint ist der Glaube, dass das, was wir tun, einen Sinn haben soll. Wir glauben alle an das grosse Doch. Wir kennen unsere Privilegien und wissen, dass unsere Probleme im Vergleich zum Weltgeschehen doch häufig gering erscheinen. Aber wir struggeln. Mit allem. Uns wird vorgeworfen, dass wir auch mit der neuen Generation, der Generation Z, struggeln. Sie fürchten.
Weil sie uns mit ihrer Unübersehbarkeit terrorisiert. Weil die Angehörigen dieser Generation demonstrierend auf die Strasse statt zur Schule gehen. Denn sie wissen es: Die Welt ist am Arsch. Und wisst ihr was? Stimmt. Die geht unter, wenn es so weiter geht. Sie wissen es. Wir wissen es. Sibylle Berg weiss es. “Wenn wir zu hoffen aufhören, kommt, was wir befürchten, bestimmt”, so einer der letzten Sätze in GRM. Hoffnung wird alleine der Leserin überlassen. Müsste man die Lektüre nun in einem Satz zusammenfassen, wäre es dieser: Kümmert euch (wir, ihr, sie) verdammt noch mal um diese Welt, in naher Zukunft könnte es da nämlich flächendeckend aussehen wie im Roman. Wow.