Boys IssueCultureTV + Film

The Mask You Live In

Sandra von Euw

“He wears a mask, and his face grows to fit it…”
So beginnt der Dokumentarfilm der amerikanischen Filmemacherin Jennifer Siebel Newsom The Mask You Live In. Ein Zitat von George Orwell aus dem Jahr 1936, das damals wie heute die Verzweiflung von Männern zum Ausdruck bringt, ständig einer Rolle gerecht werden zu müssen.

Mit Masken ist es immer so eine Sache. Wir assoziieren damit Superhelden, die kraftvollen Retter, die immer im richtigen Moment einschreiten und die Menschheit vor dem Untergang bewahren. Batman, Spiderman, Zorro und Co. – sie alle tragen Masken und transformieren sich durch sie vom Normalo in den übernatürlichen Superhelden. Fast alle Jungen nehmen sie sich zum Vorbild und eifern einem Ideal nach, das einen darin bestärkt, sein wahres Selbst vor der Welt zu verbergen. Denn Männer müssen stark sein, müssen ihren Mann stehen, müssen Leader sein, Vorbilder, die niemals die Kontrolle verlieren und niemals ihre Verletzlichkeit zeigen.

Siebel Newsom wurde zu diesem Film inspiriert, als sie mit ihrem Sohn Hunter schwanger wurde. “Dieser Film handelt von meinem Sohn und meinem Mann und meinem Vater und all den Männern, die ich liebe und bewundere”, sagt sie. The Mask You Live In, für dessen Realisierung sie auf Kickstarter 101’111 Dollar sammelte, feierte 2015 auf dem Sundance Film Festival Premiere. Siebel Newsom hat den Film nicht nur geschrieben und produziert, sondern gleich auch Regie geführt. Dies brachte ihr am Las Vegas International Film Festival den Preis als Best Achievement in Female Filmmaking ein.

The Mask You Live In untersucht schädliche Vorstellungen von Männlichkeit, die in der westlichen und vor allem in der amerikanischen Kultur herrschen. Amerika leidet seit längerem unter einer “boy crisis”. Ein Mann ist nur ein Mann, wenn er dem durch Sport und Wirtschaft geprägten, äusserst eng gefassten Männlichkeitsbild entspricht. Alles was weiblich ist, wird kategorisch abgelehnt. Nichts ist schlimmer, als auf dem Schulhof als Sissy bezeichnet zu werden. Viele sind sich nicht bewusst, wie viel über die Sprache läuft. Wie oft höre ich im Tram oder auf der Strasse “Bis nöd so e Pussy!”, “Du rännsch ja wie es Meitli”, “Du bisch so es Weichei”, “Schlappschwanz”, “Gahn doch hei go brüele”, “Du Muettersöhnli” …die Liste liesse sich endlos weiterführen.

Bereits in den ersten Minuten des Films wird klar, dass bei der Erziehung von Jungen enorm viel schief läuft. Von Klein auf haben Jungen verinnerlicht, dass der beste Mann der starke, stille Typ ist – “one of the boys” halt – der immer lächelt und Spass hat. Emotionen, Schwächen, Unsicherheiten bleiben im Verborgenen. “Wir als Gesellschaft lassen unsere Jungen im Stich und ich wollte mich damit beschäftigen, wie wir eine Kultur schaffen können, die sie nicht so einsam, isoliert und verletzt zurücklässt”, sagt die Filmemacherin. Die Folgen dieser Fokussierung auf veraltete und schädliche Vorstellungen von Männlichkeit sind verheerend und reichen von Drogenmissbrauch über Gewalt bis hin zu Vergewaltigung.

Der Film arbeitet mit vielen Statistiken, Gesprächen und Expertenstatements, in denen zum Ausdruck kommt, dass sich Amerika mit seiner Erziehung auf dem Holzweg befindet. Jungen in Amerika werden eher zu exzessiven Trinkern, eher von der Schule verwiesen, eher drogenabhängig, gewalttätig und begehen häufiger Selbstmord.

Doch trotz der vielen, wirklich erschreckenden Statistiken macht der Film klar, dass nicht primär die gewalttätige Videospielindustrie oder die Pornoindustrie verboten werden soll, sondern dass die Eltern in die Verantwortung genommen werden müssen, ihre Söhne anders zu sozialisieren.

Doch ist es nicht oft so: Einen solchen Film schauen oftmals Menschen, die bereits über ein differenziertes Männlichkeitsbild verfügen; die für die Thematik sensibilisiert sind und sich dafür interessieren. Daher mein Vorschlag: Liebe Erziehungsdirektion, integriert diesen Dokumentarfilm in unseren Lehrplan. Lehrerinnen und Lehrer, zeigt diesen Film in allen Klassenzimmern und nehmt so Einfluss auf wirklich wichtige Dinge. Und an alle, die bereits aus der Schule sind: Seht ihn euch auf Netflix an!

Ich muss zugeben, obwohl ich mit einem jüngeren Bruder aufgewachsen bin, viel Zeit mit Jungs verbracht habe und immer noch tue, konnte ich mir nie wirklich vorstellen, mit welchen Kämpfen Männer täglich konfrontiert sind. Seien es innerliche oder äusserliche. Dieser Film öffnet die Augen und zeigt so klar, wo der Schuh drückt: Massenmedien, die ständig ein Bild des immer geilen, hyperpotenten, stahlharten Machos verbreiten, Werbeagenturen, die mit Slogans wie “Wenn hier jemand heult, dann sind es die Motoren” für die neuste Man’s World werben oder unsere Gesellschaft, die einen enormen Druck auf Männer ausübt, indem sie die Rolle des Familienernährers immer noch nur den Männern zuschreibt.

An dieser Stelle ein Appell an alle Männer da draussen: We love you & we see you! Und es kümmert uns nicht, wenn ihr nicht die besten Hockeyplayer seid oder den grössten Bizeps habt. Viel mehr wünschen wir uns einen Partner, der uns in den Arm nimmt, uns ernst nimmt und der uns seine Gefühle zeigen kann. Because that’s f****** sexy!