Boys IssueCultureTheatre + Performance

That Boy Can Dance

Rahel Fenini

Ich bin in Schwamendingen aufgewachsen. In einem grauen Block, der von aussen wenig Charme, Wärme und Zauber versprüht. Dass es im Hausinnern ganz anders aussieht – und klingt! – kann man als Passant_in wohl nur erahnen… Doch eines Tages – vor vielen, vielen Jahren – öffnete das Ballet Center Zürich just in diesem Block seine Pforten. Von diesem Moment an gingen junge Tänzerinnen und Tänzer täglich ein und aus, ihre Sporttaschen und Ballettschuhe locker über die Schulter gehängt. Erhaschte ich einen Blick in eine Trainingsstunde, war ich beeindruckt von der Kraft und Grazie der hingebungsvollen Frauen und Männer; und ertönte der Stepptanz sogar im dritten Stock, wusste ich: Dieses Haus ist voller Leben, Power und Leidenschaft. Ein Junge fiel mir sofort auf; vielleicht, weil er zwischen den vielen Mädchen herausstach – vielleicht, weil ich in meinem Leben – pre Save the Last Dance und Step Up – noch mit wenigen männlichen Tänzern konfrontiert war.
Fast forward: Wir planen die fempop BOYS-Ausgabe und ich weiss sofort, dass ich diesen Jungen interviewen möchte. Was ist aus ihm geworden, tanzt er noch immer – und wenn ja, wie lebt es sich als männlicher, professioneller Tänzer?

Yves, wie würdest du dich unseren Leser_innen vorstellen, die dich nicht kennen: Wer ist Yves Cueni? Welche drei Adjektive beschreiben dich am besten?
Yves Cueni ist ein Tänzer, der aus Zürich kommt, jedoch seit vier Jahren in London lebt. Angefangen mit HipHop, schloss er eine vierjährige Ballett Ausbildung ab. Er hat sein Hobby zum Beruf gemacht und liebt die Bühne. Ob in London, Deutschland oder der Schweiz, er arbeitet eigentlich in ganz Europa. Und die Adjektive, die ihn am besten beschreiben? Ich würde sagen, positiv, zielstrebig und offen.

Heute bist du Model und professioneller Tänzer, begleitest Kylie Minogue und Helene Fischer auf Tour und tanzt auf internationalen Bühnen bei X-Factor oder The Voice UK. War das Tanzen schon immer dein Traum?
Ich würde sagen eher Tänzer, als Model (lacht).
Überhaupt nicht: Als Kind wollte ich Mechaniker und Fussballer werden, dann in die Spezialeinheit des Militärs, schliesslich war mein Traumberuf Informatiker. Mit zehn Jahren fing ich an zu tanzen und erst als das Tanzen intensiver wurde, mit 14 Jahren, wurde mir klar, dass ich ein professioneller Tänzer werden wollte. Damals, in der zweiten Sekundarschule, hatte ich sogar bereits einen Vertrag für eine Informatik Lehre unterzeichnet. Dies fühlte sich jedoch nicht richtig an und ich habe die Lehre wieder abgesagt. Obwohl ich schon im Opernhaus Zürich tanzte, wollte ich immer auf kommerziellen Bühnen performen und mit grossen Stars touren.

Unser Leben ist durchzogen und geprägt von stereotypisierten Gender-Vorstellungen, die seit unserer Geburt an uns herangetragen werden. In Steven Daldry’s Film Billy Elliot gibt es folgenden Dialog:

Billy: What’s wrong with ballet?
Dad: What’s wrong with ballet?
Billy: It’s perfectly normal.
Dad: Perfectly normal! Aye, for your Nana. For girls. Not for lads, Billy.
Lads do football or boxing or … wrestling. Not friggin’ ballet.

Bist du – als du den Entscheid gefasst hast, Ballettunterricht zu nehmen – mit solchen bzw. ähnlichen Aussagen konfrontiert worden? Von deinen Eltern, deinem Umfeld, deinen männlichen Kollegen? Wenn ja, wie hast du darauf reagiert; was haben solche Aussagen ausgelöst?
Dieses Bild, dass Ballett nur für Frauen gemacht ist, ist totaler Quatsch. Ballett ist ein Hochleistungssport und eine Kunstform zugleich. Meine damaligen männlichen Freunde haben nie etwas gesagt oder irgendwelche Sprüche gerissen. Sie fanden es immer schön, dass ich eine Ballett-Ausbildung machen werde. Meinem Vater gefiel es überhaupt nicht. Er wollte, dass ich eine richtige Ausbildung mache. Ich erinnere mich noch an eine Szene. Damals war ich ca. 13, 14 Jahre alt und wir sassen mit der ganzen Familie am Esstisch, als mich mein Vater fragte, ob ich schwul sei. Mir war das damals sehr peinlich und ich sagte klar: “Nein!” Mein Vater fragte mich dies, weil er eine Show von mir gesehen hatte, bei der ich Britney Spears auf der Bühne imitierte. Ich glaube, dies sagt vieles über die Geschlechter-Stereotype in unseren Köpfen aus. Persönlich hat es mich jedoch nie gestört, wenn Menschen oder Freunde gedacht haben, ich sei schwul, nur weil ich Tänzer bin.

Wirft man einen Blick auf dein Portfolio, merkt man schnell, dass Auftritte und Performances in der Popwelt dominieren. Eine Welt, die nach wie vor von starren Gender-Stereotypen gezeichnet ist. Spürst du als männlicher Tänzer etwas davon? Welche Erfahrungen hast du diesbezüglich gemacht?
Klar, in der Popwelt ist das gang und gäbe. Ich wurde einmal nicht für eine Welttournee gebucht, nur weil ich zwei, drei Zentimeter zu gross bin. In der Popwelt geht es immer um dein Aussehen. Ich bin zu gross oder zu dünn, habe nicht die passende Hautfarbe oder zu viele Tattoos. In der kommerziellen Welt geht es für Tänzer_innen also sehr oft um Aussehen – und Kontakte. Vitamin B ist extrem wichtig. Dennoch ist es so: Nur wer ein gewisses Talent besitzt, hat eine richtig lange Karriere vor sich.

Viele Menschen denken, dass ich schwul bin, doch es ist mir egal, was andere Menschen von mir halten. Wenn sie das denken, ist das ja nichts Schlimmes. Ich glaube dadurch zeigt sich meine Männlichkeit: Indem ich mich selbst bin und bleibe, nicht auf die Meinung anderer höre und mich von ihrer, meist engen, Definition von Mann-Sein nicht beeinflussen lasse. Auf der Kylie Minogue Tournee trage ich in einer Section ein Frauenkleid und Lippenstift, bin ich dadurch jetzt weniger männlich, weniger Mann? Nein, sage ich!

Die diesmalige Ausgabe steht unter dem Thema “Boys”. Es werden Männer interviewt, die sich für mehr Gleichstellung einsetzen, (toxische) Männlichkeiten beleuchtet und ‘neue, andere’ Formen, Mann zu sein präsentiert. Was bedeutet es dir, Mann zu sein? Wie definierst du für dich deine Männlichkeit?
Männlichkeit ist für mich ein Mann, der über seine Gefühle spricht. Dem es egal ist, wenn er weint oder zeigt, dass es ihm schlecht geht. Ein Mann, der seine Partnerin bzw. seinen Partner wie eine Königin bzw. wie einen König behandelt. Diese “Regel”, dass zum Beispiel ein Mann drei Tage nach dem ersten Date warten muss, um sich wieder zu melden, finde ich völliger Quatsch. Wenn ein Mann gleich nach dem Date seinem Date schreiben will, so soll er das tun!
Viele Menschen denken, dass ich schwul bin, doch es ist mir egal, was andere Menschen von mir halten. Wenn sie das denken, ist das ja nichts Schlimmes. Ich glaube dadurch zeigt sich meine Männlichkeit: Indem ich mich selbst bin und bleibe, nicht auf die Meinung anderer höre und mich von ihrer, meist engen, Definition von Mann-Sein nicht beeinflussen lasse. Auf der Kylie Minogue Tournee trage ich in einer Section ein Frauenkleid und Lippenstift, bin ich dadurch jetzt weniger männlich, weniger Mann? Nein, sage ich!

Was sind deine Wünsche bzgl. Gleichstellung, Geschlechterstereotypen, etc.? Wo siehst du noch mehr Potential, Chancen – auch in der Welt der Tänzer_innen?
Die Welt verändert sich ständig, und wir sind heute schon einige Schritte weiter bezüglich Gleichstellung als vor einigen Jahren. Ich weiss jedoch, dass es für Frauen in diesem Business einiges härter ist als für Männer. Frauen brauchen eine enorm dicke Haut. Eine Choreografin muss sich mehr beweisen als ein Choreograph. Und dies nicht, weil sie weniger Talent hat, sondern schlichtweg weil sie eine Frau ist. Ich wünsche mir, dass das Aussehen in der Popwelt keine Rolle spielen würde, und dass zum Beispiel auch eine festere Frau oder ein festerer Mann für The Voice tanzen könnte.

Welche Message würdest du jungen Jungs, oder auch deinem Sohn, mit auf den Weg geben, die eine ähnliche Karriere verfolgen möchten?
Do it! Man braucht viel Disziplin und Durchhaltevermögen und ich würde jedem Jungen – auch meinem Sohn – sagen, dass eine Ballettausbildung essentiell ist, um ein professioneller Tänzer zu werden. Egal, ob er schliesslich im Theater oder in der kommerziellen Welt tanzen möchte.

Was sind deine Zukunftspläne? Wo zieht es Yves Cueni noch hin?
Im Februar geht es einen Monat mit Kylie Minogue nach Australien, wo wir die Tour weiterführen. Irgendwann werde ich sicher noch ein paar Jahre in Amerika leben: LA ist das Mekka für kommerzielle Tänzer_innen. Wenn ich dann meine Tänzer -Leben an den Nagel henke, werde ich definitiv zurück nach Zürich kommen, um hier zu leben und eine Familie zu gründen. Nirgends auf der Welt ist es so schön wie in der Schweiz.

zum Showreel 2017 von Yves Cueni
Photocredit: Yves Cueni