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“Männer müssen mehr über ihre Gesundheit und Schwächen reden”: Unser #hero Robin Rehmann

Cécile Moser

Unser #hero und SRF Virus Moderator Robin Rehmann hat vor rund 6 Jahren die Diagnose Colitis Ulcerosa erhalten, eine chronische Darmkrankheit. Was zuerst ein lebensverändernder Schock ist, wird für ihn bald Motor, sich für andere und ihre Probleme zu engagieren. Mit seiner Sendung “Rehmann S.O.S. – Sick of Silence” bricht er Tabus und stellt physische und psychische Gesundheit ins Zentrum.

Vor rund 6 Jahren hast du die Diagnose Colitis Ulcerosa erhalten. Was ging dir da durch den Kopf?
Das war natürlich ein Schock. Man hat das Gefühl, die Krankheit nimmt einem alles weg und alle Träume und Ziele rücken in weite Ferne.

Hat diese Krankheit deine Einstellung auf das Leben generell verändert?
Mit dem Thema Krankheit setzt man sich eben erst auseinander, wenn man selbst betroffen ist. So war es denn auch bei mir, und ich fing an, mich für alle Arten von Krankheiten, ob psychisch oder physisch, zu interessieren. Gesundheit ist eben nichts Selbstverständliches.

Was rätst du jungen Menschen, denen Ähnliches widerfährt, wie dir damals?
Es ist zentral, Hilfe anzunehmen. Und damit meine ich professionelle Hilfe von Ärzt_innen, aber auch von Psycholog_innen. Wer plötzlich körperliche Beschwerden hat, die das Leben verändern, erfährt meist auch psychisches Leiden – das geht miteinander einher. Zudem ist es natürlich auch wichtig, sich mit lieben Menschen und Freunden zu umgeben, die einem gut tun.

“Krank will ‘mann’ nicht sein. Krank sein gilt allgemein als unattraktiv. Ich finde es aber enorm wichtig, dass Männer den Mut haben, über Schwächen zu reden, vor allem auch bei psychischen Krankheiten. Themen wie Missbrauch und Gewalt, etwa von Müttern an Söhnen, darüber wagt kaum einer zu sprechen.”

In unserer heutigen Hochglanz- und Happy-Gesellschaft mit Instagram und Co. scheinen Themen wie Krankheit oder Schwächen immer weniger Platz zu haben. Welche Erfahrungen hast du damit gemacht?
Vor allem bei jungen Männern würde ich das definitiv bestätigen. Über 80% der Personen, die sich bei mir in der Sendung melden, sind Frauen. Es gibt kaum Männer, die sich getrauen, zu mir in die Sendung zu kommen und über ihre Probleme und Schwächen zu reden. Das passt nicht ins gängige Bild des starken und allzeit bereiten Mannes. Krank will “mann” nicht sein. Krank sein gilt allgemein als unattraktiv. Ich finde es aber enorm wichtig, dass Männer den Mut haben, über Schwächen zu reden, vor allem auch bei psychischen Krankheiten. Themen wie Missbrauch und Gewalt, etwa von Müttern an Söhnen, darüber wagt kaum einer zu sprechen. Bei Frauen ist dieses Stigma weniger gross und deshalb getrauen sie sich auch eher, öffentlich darüber zu reden. Dass die Dunkelziffer bei Männern jedoch gross ist, bestätigen die vielen E-Mails die ich erhalte: Männer, die sich zwar mit ihren Problemen melden, sich aber nicht trauen, damit in die Sendung zu kommen.

Hier sind wir beim Thema Gender-Stereotypen angelangt. Was könnte man in deinen Augen dagegen tun?
Ein Mann, der heult, ist für viele noch immer ein befremdliches Bild. Das merke ich auch in meiner Sendung: Wenn ein Mann weint, ist die Stimmung oft komisch und man ist irritiert. Ich finde, Frauen sind sich wenig gewohnt, dann auch auf Männer zu zugehen, und sie zu trösten. Ich denke, es wäre wichtig, dass sich Frauen dessen mehr bewusst sind, und auch bereit sind, diese Schwächen des Mannes anzuerkennen. Ich stelle auch fest, das homosexuelle Männer darin viel stärker sind, was vielleicht auch mit dem Coming-out zu tun, das diese bereits durchmachen ‘mussten’. Ein verletzter, heterosexueller Mann dagegen tritt umso härter auf, um zu kaschieren, was eigentlich in ihm vorgeht.

Wie wählst du die Leute aus, die in deine Sendung “Rehmann S.O.S. – Sick of Silence” kommen?
Grundsätzlich läuft es so, dass ich von Personen angefragt werde und ich dann die Sendungen entsprechend plane. Ich versuche stets, alle Anfragen zu beantworten und allen nachzukommen, bin aber aktuell bereits auf etwa 3/4-Jahre ausgebucht. Eine Ausnahme mache ich jedoch, wenn sich ein Mann meldet, da dies viel weniger der Fall ist. Männer kommen eigentlich immer gleich in die Sendung; oder auch wenn mir ein Thema gerade sehr aktuell erscheint. Ansonsten dauert es rund 3-4 Monate, bis eine Geschichte ausgestrahlt wird.

Denkst du, diese ‘Probleme’ nehmen zu, oder spricht man einfach mehr darüber?
Das ist schwierig zu sagen. Fakt ist jedoch, dass sich immer mehr Leute bei mir melden – mittlerweile echt viele. Das liegt aber sicherlich auch daran, dass sie Vorreiter_innen bei mir sehen, welche sie ermutigen, ebenfalls offen über ihre Probleme zu sprechen. Ich denke auch mein eigener, sehr öffentlicher Umgang mit meiner Krankheit hilft dabei, Tabus abzubauen. Schmerz wird leider noch immer verpönt und als schlecht be-/verurteilt. Aber ich finde es wichtig, dass man lernt zu akzeptieren, dass dieser eben auch zum Leben gehört: Keine Höhen ohne Tiefen – und umgekehrt. Damit sollte sich jede und jeder auseinandersetzen, ob nun in guter oder schlechter Verfassung. Verdrängen ist nie gut, das macht alles noch schlimmer und wird am Ende gar gefährlich.

War der Auslöser für diese Sendungs-Idee deine eigene Erkrankung?
Teilweise sicher. Ich hatte damals echt das Gefühl, den Anschluss an die Gesellschaft zu verlieren und dies war für mich ein guter Weg, dem entgegen zu wirken. So begann ich mit meiner Doku bei SRF Fokus. Danach haben sich sehr viele bei mir gemeldet und es begann ein reger Austausch. Diese Sendung tat mir sehr gut; hat man in diesen Momenten doch meist das Gefühl, das einen niemand versteht. . Danach kam die Idee, meine Möglichkeiten bei SRF Virus zu nutzen und diese Austausch-Plattform auch anderen Personen zu bieten.

Neben dieser Doku hast du auch auf deinem eigenen YouTube-Kanal sehr offen über deinen Krankheitsverlauf berichtet. Weshalb diese öffentliche Auseinandersetzung? Und brauchte das zu Beginn Überwindung?
Ich hatte ja schon vorhin Video-Blogs gemacht, deshalb war das für mich naheliegend und auch nicht ganz fremd. So offen über meinen Schmerz zu reden, hat mich aber schon grosse Überwindung gekostet. Normalerweise will man ja vor der Kamera gut aussehen, aber als ich wusste, ich verliere mein altes Leben und es wird nie mehr, wie es war, war dies mein einziger Weg, mich mitzuteilen.

Welche Feedbacks und Reaktionen gab es?
Bei mir gemeldet haben sich vor allem Gleichgesinnte, die ebenfalls von Ähnlichem betroffen sind. Leute, denen es gut geht und die denken, sie seien gesund, konsumieren meine Sendung weniger. Ich fände es aber sehr wichtig, dass gerade solche Menschen sich ebenfalls damit auseinandersetzen, hinhören und realisieren, dass es eben auch Leute gibt, die nicht nur Glück hatten.

Half dir dieser öffentliche Umgang beim Bewältigen deiner Krankheit, wurde sie dadurch erträglicher?
Ja, gerade der Austausch mit Gleichgesinnten hilft enorm. Ich habe mittlerweile auch einige enge Freunde gewonnen, die das gleiche Leiden haben. Die sind halt die Einzigen, die dich wirklich zu 100% verstehen, das ist so. Das Schlimmste ist, wenn man das Gefühl hat, man wäre die einzige Person, die davon betroffen ist. Sobald man merkt, dass es noch andere Menschen gibt, denen es gleich geht, ist das eine grosse Stütze.

Würdest du sagen, die Diagnose hat dich auch als Mann verändert?
Ich denke schon. Ich habe schon immer viel geweint, weil ich auch schon vor der Diagnose grosse emotionale Kämpfe hatte, aber ich habe das nie nach aussen gezeigt. Damals als VIVA-Moderator war ich immer der lustige Freak. Dann machte ich einmal ein YouTube-Video, indem ich weinte, was schon auch ein bewusster Entscheid war. Ich dachte, ich kann mich nach aussen nicht immer so tough geben, und dann im Stillen weinen. Ich wollte meine Facetten zeigen, und bin auch sehr froh darüber, dies gemacht zu haben. Man sieht zu wenig weinende Männer, was schade ist. Männer haben genau die gleichen Probleme, Ängste und Sorgen, wie Frauen. So bin ich auch der Überzeugung, dass die Diskussionen um Emanzipation oft falsch geführt werden: Männer, die sich ständig behaupten müssen, sind genauso problematisch, wie Frauen, die unterdrückt werden. Auch die Debatten um Frauen in Führungspositionen finde ich schwierig. Wer ist denn überhaupt bereit, so zu leben? Ich finde es nicht erstrebenswert, 15 Stunden am Tag zu arbeiten und keine Emotionen zeigen zu dürfen – das ist ein typisch männlich konditioniertes Verhalten und wir haben genügend Beweise dafür, dass dies ungesund ist.

Da wären wir jetzt auch etwas bei den strukturellen Rahmenbedingungen angelangt. Was könnte man deiner Meinung nach auf gesellschaftlich-politischer Ebene tun, um diesen Problemen entgegenzuwirken?
Ich finde da euren fempop-Ansatz eigentlich ganz richtig: Männer und Frauen zusammenzubringen und den Menschen ins Zentrum  stellen. Schliesslich haben wir die gleichen Bedürfnisse; da bringen diese ewigen Unterteilungen in Geschlechterkategorien wenig. Der Mensch möchte sich wohl fühlen. Das ist auch ein grosses Problem bei chronischen oder Autoimmunerkrankungen, bei denen man ‘nichts’ sieht. Die Erwartungen von der Aussenwelt, von der Gesellschaft kommen aber trotzdem, und man muss merken, dass man diesen Erwartungen nicht entsprechen kann, die Leistung nicht bringt. Das gleiche Problem tritt bei Geschlechter-Stereotypen auf, und das ist nicht gut.

Denkst du Erziehung und männliche Vorbilder sind zentral, wenn es um die Generierung von Männlichkeits-Bildern geht? Brauchen wir neue Vorbilder?
Ja, absolut. Am Ende ist zentral, dass man geliebt wird, und jedes Leben ist wichtig. Es ist stets wichtig, Menschen zu fragen, wie es für sie stimmt, und nicht zu versuchen, gerade etwa Kinder in eine bestimmte Richtung zu pushen. Oft ist es sehr problematisch, wenn man das Gefühl hat, man müsse sich gewissen Normen anpassen. Charakter und Mensch sind zentral, weniger das Geschlecht.

Hast du männliche Vorbilder?
Ja doch, schon. Im lyrisch-künstlerischen Bereich bin ich ein grosser Fan von Marcus Wiebusch. Er schreibt super Texte und Gedichte, die inspirieren. Aber auch meine Männerfreundschaften geben mir unglaublich viel und viele meiner Freunde sind auch Vorbilder für mich, wie etwa mein bester Freund Patrick. Natürlich sollte das irgendwo auf Gegenseitigkeit beruhen, sonst wird es dann auch wieder schräg. Aber solche Freundschaften finde ich toll.

Welche Tipps würdest du einem heranwachsenden Jungen mit auf den Weg geben?
Ich würde ihm zeigen, dass er Gefühle zulassen kann und soll – und zwar alle Gefühle. Wenn er weint, soll er das ungeniert tun – denn das gehört genauso zum Leben, wie Freude, und dafür sollte man Kinder auch loben. Ich habe ein befreundetes Paar, das ihre Kinder gender-neutral erziehen, das finde ich auch ganz toll. Kinder sollen selber herausfinden, was sie mögen. Es sollte keine du-hast-dich-so-zu-verhalten Regeln geben.

“Ich möchte den emotionalen Mann auf eine schöne und coole Art zeigen – so viel sei schon mal verraten.”

Und nun nochmals zurück zu dir: Gibt es noch Ziele oder Wünsche, die du demnächst angehen möchtest?
Lustigerweise befasse ich mich für ein kommendes Projekt auch gerade mit dem Thema Mann-sein. Hetero, weiss und männlich zu sein, ist ja aktuell gerade ganz schön uncool geworden. Ich möchte dieses Thema in einem neuen Format, das ich privat lancieren werde, auf eine fröhliche Art besprechen. Neben “S.O.S.” hatte ich einfach mal wieder Lust, etwas Positives und Lebensbejahendes zu machen. Ich möchte den emotionalen Mann auf eine schöne und coole Art zeigen – so viel sei schon mal verraten.

Photocredit: Andrea Monica Hug