Queer Talk, Vol. 1: “The only drama I enjoy is in my lashes”
Rico Schüpbach
Sind geschminkte Männer ein subversiver Protest gegen das Patriarchat? Und sollten Frauen lieber auf Schminke verzichten, um der männerdominierten Gesellschaft einen Strich durch die Rechnung zu machen? Für einige mag das wie ein Witz klingen, doch tatsächlich ist Make-up mehr als hübsche Eye Shadows, Foundations und Eyeliner.
Das Patriarchat übe nach wie vor einen indirekten Druck aus, dem männlichen Blick zu gefallen. Die Aussage “Ich schminke mich nur für mich” gelte nicht, weil sich das eigene Aussehen immer unbewusst oder auch bewusst auf andere bezieht. Das mag durchaus sein und tatsächlich sind ungeschminkte Männergesichter die Norm, während Frauen eben oft geschminkt sind. In der Theorie hat Make-up kein Geschlecht, genauso wenig wie Farben oder Kleidung. Das ist einfach gesagt, entspricht jedoch noch überhaupt nicht der Beauty-Realität. 99% aller Brands richten sich gezielt an Frauen. Ein bekanntes französisches Label lancierte in diesem Jahr eine eigene Make-up Linie für Männer. Mit Queerness oder subversivem Protest hat das aber wenig zu tun. In unzähligen Medienartikeln äusserten Beauty-Expert_innen ihre Tipps, wie Männer Make-up anwenden können, ohne dabei weiblich zu wirken. Wenn Stories so aufgezogen sind, ist das natürlich das Gegenteil einer Befreiung, viel eher wird impliziert, dass geschminkte Männer “verweiblicht” seien. Weiblichkeit oder was als solche definiert ist, wird beim Mann als etwas Negatives gesehen. Ein Umstand, den es zu ändern gilt. Jede_r sollte Make-up und Beauty-Produkte tragen dürfen oder auch nicht – weil Schminke eben kein Geschlecht hat. Ausserdem ist Femininity doch was Fantastisches! Das haben wir Queers natürlich schon längstens gecheckt.
Für Queers kann der Griff zum Lidschatten und Lipstick eine Zelebration der eigenen fabelhaften Queerness sein. Mit Lidschatten, falschen Wimpern und Glitzer dekonstruieren wir die toxische Männlichkeit. Make-up kann die eigene Identitäts-Performance auf fantastische Art und Weise wortwörtlich unterstreichen. Bei Gays wird sowieso schon viel zu lange ein unrealistisches Schönheitsideal propagiert. Sucht man in der Google-Bildsuche nach “gay”, findet man vor allem durchtrainierte, hypermaskuline, meist weisse Typen. Nichts gegen das sogenannte #abprivilege (auf Deutsch: Bauchmuskelprivileg), aber dieses Ideal ist für viele unrealistisch. Und by the way auch ziemlich langweilig.
Mit Schminke lässt sich das rigide Geschlechterregime zwar nicht einfach so wegpinseln. Geschminkte Männer üben aber einen subversiven Protest aus, Weiblichkeit nicht länger als etwas Abwertendes anzusehen. Es lebe die Tuntigkeit.
Illustration:
Patricia Wyler <3