An meine erste kahle Stelle am Hinterkopf kann ich mich besser erinnern als an meinen ersten Kuss. “Hast du dir ein Herz als Undercut rasiert?” war die erste von hundert Fragen, die ich gehört habe, nachdem ich mit der Krankheit Alopecia Areata diagnostiziert wurde. “Kreisrunder Haarausfall”: Eine vermeintliche Autoimmunerkrankung, bei der die eigenen Haarfollikel abgestossen werden.
„Dagegen kann man nicht viel machen,” hörte ich von jedem Arzt und Spezialisten: „Versuchen Sie einfach Stress zu reduzieren, dann geht das schon wieder weg.” Ich war 15 Jahre alt und ein Mädchen im Körper einer werdenden Frau. Mit dieser Diagnose bin ich eigentlich ziemlich selbstbewusst umgegangen; ich trug trug mein Haar stets, wie ich wollte und kümmerte mich nicht gross um diese eine kahle Stelle am Hinterkopf.
In der Schule meinten die Jungs aber, mein Haarausfall sei ekelhaft. Mir würde niemand mehr nachschauen, wenn ich kein einziges Haar mehr auf dem Kopf hätte, weil ich dann hässlich wäre. Richtige Frauen – ja, richtige Frauen – hätten doch Haare auf dem Kopf! Doofe Worte, von noch dooferen Jungs, die mir lange in Erinnerung geblieben sind.
Doch es waren nicht immer pubertierende, doofe Jungs, die nicht wussten, wie mit meinem Haarausfall umzugehen war, sondern auch Lehrer, Kollegen, Ärzte und Friseurinnen. Aufgrund des mangelnden Verständnisses meiner Aussenwelt fiel es mir immer schwerer, mich mit meiner Krankheit auseinanderzusetzen. Obwohl auch einige Ärzte meinten, Alopezie sei ja zum Glück nicht tödlich, und das Haar wachse bekanntlich nach, schämte ich mich immer mehr für diese Krankheit und machte mich selbst dafür verantwortlich. Dies führte zu weiterem emotionalen Stress, der meinen Haarausfall noch verstärkte. Es gab Momente in meinem Leben, in denen ich mich nicht mehr vor die Türe traute, weil ich mir sicher war, jede und jeder würde merken, dass etwas nicht stimmt. Jede und jeder würde diese eine kahle Stelle an meinem Hinterkopf entdecken.
“Eine Frau trägt ihr Haar, wie sie will, und muss sich niemals für eine Krankheit schämen, die ihr äusseres Erscheinungsbild beeinflusst.”
In einer Gesellschaft, die grösstenteils von Sozialen Medien gesteuert wird, ist es hart, eine Krankheit zu haben, die schwer zu verschleiern ist. Deshalb sehe ich es als meine Pflicht, Leute über diese Erkrankung zu informieren. Ich suche den Dialog, damit ein anderes 15-jähriges Mädchen lernen kann, dass Frau-sein oder sich als Frau fühlen, völlig unabhängig davon ist, ob ‘man’ einem konstruierten Schönheitsideal entspricht oder nicht. Denn eine Frau trägt ihr Haar, wie sie will, und muss sich niemals für eine Krankheit schämen, die ihr äusseres Erscheinungsbild beeinflusst.
Seit meiner Diagnose sind knapp 9 Jahre vergangen. Dieses Jahr lernte ich, mich nicht mehr über diese Krankheit zu definieren. Klar gibt es noch Tage, an denen ich mich schlecht fühle, gerade dann, wenn der Haarausfall wieder aktiv wird. Ich nehme mich aber heute nicht mehr so ernst und weiss, dass meine engsten Freunde und meine Familie immer hinter mir stehen und mich unterstützen und aufmuntern, wenn es mir nicht so gut geht. Das Leben ist wie eine Achterbahn – mal rauf, mal runter. Aber seit ich gelernt habe, Alopecia Areata als einen Teil von mir zu akzeptieren, realisiere ich, dass die Meinung anderer mir nichts antun kann. Ich leide nicht mehr an Kreisrundem Haarausfall, ich lebe mit Kreisrundem Haarausfall – und mein Leben ist super so!