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Blondkult in Argentinien

Stefanie Bracher

Von aschblond, strohblond bis dunkelblond oder goldblond; Blond brilliert in verschiedenen Tönen. Bewundert, beliebt und auch belächelt. Eine signalstarke Haarfarbe, die oft auch mit Vorurteilen zu kämpfen hat. Blond fasziniert, hier und dort. Doch in Argentinien ist die Faszination wahrscheinlich noch ein bisschen grösser als sonst wo auf der Welt, da diese goldige Farbrichtung nicht nur brilliert, sondern auch dirigiert. Ein Männermagnet und fördernd für das Selbstbewusstsein. Ich mache mich auf die Suche nach Gründen, warum die sonderbare Rolle einer Haarfarbe gesellschaftlich so viel Gewicht hat, und warum 6 von 10 Frauen im südlichen Südamerika die eigene Haarfarbe bewusst aufhellen.

Argentinische Frauen gehen gerne zum Coiffeur, und zwar nicht nur gerne, sondern auch oft und regelmässig. Gemäss einer Studie von L’Oreal besuchen 70% der Damen regelmässig den Schönheitssalon. Es fallen nicht nur Haarsträhnen, sondern es wird auch kräftig Färbungsmittel aufgetragen. Blond steht unangefochten auf dem ersten Platz. Ich befinde mich bei Diego und lasse mir die Spitzen schneiden. Es war nötig und Diego schimpft mit mir, warum bei mir immer so viel Zeit vergehen muss, bis ich vorbeikomme. Der junge Hairstylist ist im Jahre 2014 aus Brasilien in die Landeshauptstadt gekommen und arbeitet seitdem Vollzeit in diesem Gewerbe, welches interessanterweise landesweit über 120 000 Arbeitsplätze schafft. Ein überaus lukratives Geschäft, das verschönert und zusammenbringt. Denn wie so üblich in Lateinamerika herrscht auch in Argentinien eine Klassengesellschaft, die trennt. Doch die Liebe zum Haar verbindet. “Frau” findet überall und immer einen Weg in den Friseurladen. Überall wird geschnitten und gefärbt – meist in blond. Egal, ob bei Arm oder Reich.

Woher kommt die Faszination für diese Haarfarbe? Denn nicht nur in Argentinien scheint der goldige Farbton beliebt zu sein, sondern auch in vielen anderen Ländern. Dafür gibt es unterschiedliche Erklärungsansätze, die bis zu den Römern führen. Ein wichtiger Faktor ist sicherlich die Seltenheit. Wikipedia erzählt uns, dass gerade mal 2% der Weltbevölkerung blond ist. Eine echte Blondine trifft man also eher selten an, etwa so selten wie das Wort Blondin (männliche Bezeichnung für einen blonden Mann). Bei den meisten Blondies, auch in der Schweiz, wird oftmals nachgeholfen. Heute gibt es Wasserstoffperoxid, welches an der Pariser Weltausstellung 1867 zum ersten Mal präsentiert wurde. Ein Haarbleichmittel revolutionierte die Haarindustrie! Doch zu alten Zeiten musste man ganz schön in die Trickkiste greifen. Für die alten Römer und Griechen war blond die Farbe der Helden und Götter. Römerinnen hatten germanische Sklavinnen, welchen schnipp schnapp das Haar abgeschnitten und zu Perücken verarbeitet wurde. Andere gelangten mittels eines aus Ziegenfett und Birkenasche hergestellten schäumenden Waschmittels zur gewünschten Haarfarbe. Heute gibt es glücklicherweise effizientere Färbetechniken und diese werden auch in Argentinien angewendet, wo gemäss der L’Oréal Umfrage über 65% der Frauen blond sein wollen. Hierzu muss man ein paar Geschichtsbücher aufschlagen, damit man diese Verherrlichung der blonden Dominanz versteht.

 

Während Diego in meinen dunklen Haaren herumschnipselt, erklärt er mir, dass die Sache historisch geprägt ist: “Es ist ein kulturelles Erbe der europäischen Kolonialisierung, die konstante Suche nach der westlichen Identität und dem westlichen Aussehen.”

Wie jedes Land auf dem amerikanischen Kontinenten wurde auch Argentinien von Europa kolonialisiert. Das spanische Königreich besiedelte die heutige Hauptstadt im 16. Jahrhundert, welche seither zu einem beliebten Ziel für europäische Auswanderer wurde. Vor allem im 19. und 20. Jahrhundert gab es eine regelrechte Masseneinwanderung, insbesondere aus Italien, Spanien, Deutschland und der Schweiz. Der Einfluss der damaligen Frischlinge widerspiegelt sich heute in den Traditionen, der Architektur, der Sprache und in der Bevölkerung. Eine Europäisierung der argentinischen Gesellschaft war unvermeidbar und geschah automatisch, auch im Prozess der Staatsbildung. Ein ehemaliger Präsident sprach sogar davon, dass mit der Ankunft der Europäer die Bevölkerung aufgehellt wird, dadurch die Herkunft von indigener oder afrikanischer Abstammung verblasse und die primitiven Gedanken gezüchtigt würden. Es war also absehbar, in welche Richtung sich ein Schönheitsideal entwickeln würde: ein westlich blondes. Blond erinnert auch an Wohlstand und den dazugehörigen Glamour, der einst herrschte. Starke und einflussreiche Frauen wie Evita Peron waren blond und markierten die Geschichte des Landes. Wer blond ist, ist selbstbewusst.

Diego betont aber auch, dass die älteren Damen eine blonde Haarpracht bevorzugen, da dadurch die grauen Haare einfacher überfärbt werden können, anders als bei dunklen Haarfarben, bei denen die Sichtbarkeit von grauen Ansätzen grösser ist. Es geht also auch um eine gewisse Tarnung gegen das Alter: “Frauen haben hier einen sozialen Druck jünger auszusehen.”

Handelt es sich hier um einen ewigen Trend dank geschichtlichem Vermächtnis oder gibt es auch eine Veränderung in der Haltung?
In den letzten Jahren erhob sich eine starke feministische Welle, welche dem Patriarchat ein Ende setzen möchte. Der Dominoeffekt dadurch ist, dass gewisse Gruppierungen der argentinischen Gesellschaft selbstkritisch die Kondukten analysieren und mehr Akzeptanz der Diversität fordern und verbreiten. Denn das bisher verbreitete Vorstellungsbild einer argentinischen Frau ist schlank, hellhäutig und blond. Idealerweise ein Abbild einer Barbiepuppe. Doch tendenziell gibt es immer wie mehr Stimmen, die diesen Stereotypen hinterfragen. Die Mischung der unterschiedlichen Herkünfte wird zelebriert und als neue Identität anerkannt. Denn eine Genetik-Studie der Universidad de Buenos Aires hat ergeben, dass mehr als die Hälfte der Bevölkerung mindestens einen indigenen Vorfahren hat. Es ist also nicht alles nur europäisch und ein Bewusstsein darüber wird bemerkbar.

Ich verabschiede mich von Diego mit meinem frischen Look. Auf den Strassen von Buenos Aires flaniere ich selbstbewusst mit meinen schwarzen Locken umher. Und ja, ich sichte ein Werbeplakat für eine Brillenmarke mit einer Frau afrikanischer Herkunft. Es streift eine Gruppe laut kichernder Teenies an mir vorbei und ein paar davon tragen einen frechen Kurzhaarschnitt ohne irgendwelche blonde Strähnen. Ich bin gespannt, wie sich die Mentalität der Gesellschaft in den nächsten Jahren entwickeln wird. Sicherlich ein langsamer Wandel, doch hoffentlich ein farbenfreudiger.

Photocredit: Bernart Paul; auf den Bildern zu sehen sind Mayra Cerroti, Melisa Saullo, Lara Regina Feole und Natalia Serres