Collective IssueDesign

“Wir sind dabei sehr einsam zu werden, wenn wir so weiter machen.”

Carina Iten

Eva, Johanna und Mirjam bilden zusammen kollektiv vier, ein Design Studio für Textilien und Flächendesign. Ihre Kreationen umfassen Duschvorhänge, Badetücher und -teppiche, die Geschichten erzählen und zu neuen exotische Destinationen entführen – ohne die eigenen vier Wände zu verlassen. Ihre Designs sind verspielt, fröhlich und vor allem eines: unkonventionell. So zelebriert etwa ihre letzte Kollektion den weiblichen Zyklus auf einem Duschvorhang. Für manche sind es nur Farben und Formen, für uns ein starkes Statement. Wir haben mit den drei Designerinnen über ihre Arbeit im Kollektiv, Feminismus und Männern auf Chefposten gesprochen.

Ihr seid ein Kollektiv von drei Designerinnen – wofür steht die “vier” in eurem Namen?
Drei und ein guter Geist.

Im Fokus eurer Arbeit stehen verspielte und inspirierende Duschvorhänge – wie seid ihr dazu gekommen?
Während dem Studium haben uns Freund*innen gefragt, ob wir für sie einen Duschvorhang gestalten könnten – so entstand der erste Vorhang und daraus alle weiteren.

“Travel without leaving” ist eure Philosophie – hat dieser Slogan in den vergangenen zwei Jahren nochmals an Bedeutung gewonnen?
Ja, sicherlich. Durch Corona verbrachten viele Menschen plötzlich mehr Zeit zu Hause und sie lernten das Reisen in den eigenen vier Wänden viel mehr zu schätzen. Wir finden sowieso, dass es auch im Hinblick auf das Klima wichtig ist, sich am “Nahen” zu erfreuen.

Der Duschvorhang ZYKLUS von kollektiv vier

Eure Designs sind verspielt, fröhlich und naturverbunden – wie wichtig ist die Natur für euer Schaffen? Wo lässt ihr euch inspirieren?
Die Natur ist unser Fundus. Sie ist so vielfältig und immer wieder von neuem überraschend. Erlebnisse in der Natur, die verschiedenen Stimmungen, Strukturen, Materialien, Gegensätze… all das inspiriert uns.

Ihr seid auf drei Standorte Zürich, Bern und Biel verteilt – widerspiegelt sich das in eurem Schaffen? Und wenn ja, wie?
Unsere Zusammenarbeit ist immer im Wandel, sie wächst und passt sich unseren Bedürfnissen an. Die momentane Situation bedeutet, dass wir uns nicht jeden Tag sehen. Jede arbeitet im eigenen Atelier für sich und doch an unserem Gemeinsamen. Manchmal ist es schön in Ruhe zu arbeiten, manchmal wünschen wir uns mehr Zeit miteinander zu verbringen. Wir sind alle sehr eigenständig, ergänzen uns gut und stehen gleichzeitig im ständigen Austausch. Ich denke, das spürt man in unserem Schaffen. Dementsprechend haben wir unseren Alltag organisiert: einmal die Woche sehen und hören wir uns, tauschen uns aus und geniessen die gemeinsame Zeit. Den anderen Teil arbeitet jede nach ihrem Wunsch. Zweimal im Jahr fahren wir zusammen in eine Retraite. Diese Wochen sind wertvolle Inseln des Zusammenseins und Ideenspinnens.

Im Designbereich gibt es viele Einzelprotagonist*innen, wieso habt ihr euch als Kollektiv zusammengeschlossen und was sind für euch die Vorteile?
Wir haben bereits im Studium angefangen zusammen zu arbeiten und für uns erkannt, dass uns der Austausch inspiriert, dass Teilen uns Freude macht und gleichzeitig entspannt, weil es den Druck und die Verantwortung auf die einzelnen Personen reduziert. Das gemeinsame Entwerfen birgt immer Überraschungen für alle Beteiligten und wir gelangen zu einem Resultat, das eine eigenständige Handschrift hat, nicht Mirjam, Johanna oder Eva – eben kollektiv vier. Wir haben mehr Ressourcen zur Verfügung und können verschiedene Perspektiven beiziehen. Ausserdem können wir uns in den zahlreichen administrativen Aufgaben aufteilen.

“Sechs Hände arbeiten am gleichen Entwurf und drei Köpfe denken auf unterschiedliche Weise hin zum gleichen Ziel” – das hört sich sehr harmonisch an, ist es das immer?
Das ist es nicht immer, aber genau das ist das Spannende. Aus verschiedenen Meinungen einen gemeinsamen Nenner zu finden, führt zu interessanten Lösungen.

Wie geht ihr mit Meinungsverschiedenheiten um?
Versuchen, sich ineinander zu versetzen, gewaltfreie Kommunikation, versuchen zu verstehen, um was es genau geht, Emotionen von Sachlichem trennen, verschiedene Perspektiven einnehmen, Bedürfnisse formulieren und schliesslich daraus zu schliessen, was das Beste für die Situation, das Produkt oder die Beteiligten ist.

Bekommt das Kollektiv in Zeiten wie diesen mehr Kraft und Bedeutung – im Arbeitskontext aber auch privat?
Ich denke, es würde unserer Gesellschaft sehr gut tun, mehr in Gemeinschaften zu denken, Hierarchien abzubauen, Generationen übergreifend Projekte zu vollziehen, in diverseren Gruppen unterwegs zu sein und grundsätzlich mehr zu teilen. Ich denke, wir sind dabei sehr einsam zu werden, wenn wir so weiter machen.

Die aktuelle Zeit ist herausfordernd auf allen Ebenen, ist Design für euch eher ein Ventil oder Kommunikationskanal?
Eher ein Kommunikationskanal. Wir sind unsere eigenen Chefinnen, können unseren Alltag bestimmen und wählen bewusst aus, mit wem wir zusammenarbeiten und welche Materialien wir verwenden. Unsere Werte spiegeln sich in unseren Produkten.

Fliessen aktuelle Weltthemen in eure Arbeit mit ein? Was kann Design in solchen Zeiten bewirken? Nachhaltigkeit ist sicher ein wichtiges und grosses Thema und auch feministische Anliegen beschäftigen uns. Grundsätzlich fliesst alles, was wir tun, was uns begegnet und umtreibt in unser Schaffen mit ein. Ich finde, es ist die Aufgabe von Designer*innen, durch ihre Produkte und Aktionen die Gesellschaft zu sensibilisieren.

Dusch- und Handtuch CIEL von kollektiv vier

Ihr seid ein Kollektiv von Frauen in einem männlich geprägten Arbeitsfeld – wie nehmt ihr das wahr? Unserer Erfahrung nach ist die Textilbranche sehr weiblich, wobei auf den Chefposten oftmals Männer sitzen. Wir haben bei ersten Treffen mit Produktionsfirmen beispielsweise oft mit Männern zu tun. Danach sind es dann eher Assistentinnen, mit denen wir Mails schreiben. Wir werden als Frauen anders gelesen und behandelt. Umso wichtiger ist es, als Frau selbstbewusst aufzutreten in allem, was man gerne macht oder machen möchte.

Mit euren Designs bewegt ihr euch ausserhalb der Norm und bringt Themen wie den (weiblichen) Zyklus in den Fokus – was war die Inspiration hinter dem Design? Und wie gehen Kund*innen damit um?
Wir sind drei Frauen und setzen uns mit uns selbst, unserer Kultur und Umwelt auseinander. Daraus entstand die Lust, eine Kollektion zum Thema FRAU SEIN zu gestalten. Ja, wir tragen unsere Themen nach aussen und sehen dies als Chance unserer Selbstständigkeit. Kund*innen reagieren oft positiv, andere nehmen die Motive nicht so aktiv wahr und sehen mehr Farben und Formen.

Das Thema Weiblichkeit oder Frausein steht bei euch auch immer wieder im Fokus, etwa beim Foulard Donna – ist Design für euch auch eine Möglichkeit, feministisch aktiv zu sein? Wie bereits erwähnt, finden wir, dass Design die Möglichkeit hat, Werte zu visualisieren und zu transportieren. Wir nutzen diesen Kanal, um unsere Geschichten und Gedanken in Bildern zu erzählen und überlassen es den Kund*innen, wie sie die Geschichte weiter denken.

Mehr zum kollektiv vier sowie ihre wunderbaren Kreationen gibts unter kollektivier.ch
Das Foulard DONNA von kollektiv vier

Photocredit: kollektiv vier