ArtCultureSex Issue

“Sexualität ist ein von der jeweiligen Zeit und Gesellschaft geprägtes Erlebnis”

Cécile Moser

Seit sieben Jahren setzen sich Talaya Schmid und ihr Team mit den Porny Days für fluide Sexualitäts-Konzepte und sexpositive Pornografie ein. Im Gespräch mit fempop sprach sie über die Highlights des diesjährigen Festivals, warum Feminismus und #metoo auch in diesem Kontext einen wichtige Rolle spielen und wie ein offenerer Zugang zu sexuellen Themen in unserer Gesellschaft gefunden werden kann.

Wie seid ihr dazu gekommen, die Porny Days zu gründen?
Als wir vor acht Jahren eine DVD namens Dirty Diaries mit einer Auswahl an feministischen, pornografischen Kurzfilmen aus Schweden entdeckten, waren wir erstaunt und begeistert, dass Pornografie offenbar noch viel mehr sein kann als die immer gleichen Videos, die man online auf die Schnelle findet. Und zwar Filme, in denen es auch um die Beziehung zwischen den Darsteller*innen geht, die eine Vielfalt an Körpern, Geschlechtern und sexuellen Spielarten zeigen. Daraufhin haben wir uns auf die Suche gemacht nach mehr sexpositiven Pornos (unter “sexpositiv” verstehe ich, dass alle einvernehmlichen sexuellen Handlungen zwischen Erwachsenen akzeptiert werden, dass eine sexuelle Vielfalt gefördert wird und Wörter rund um Sexualität positiv besetzt werden), um diese mit einer Öffentlichkeit zu teilen. Der Porny Brunch war geboren, und ein Jahr später wurde daraus das mittlerweile viertägige Film und Kunst Festival Porny Days.

Was möchtet ihr mit eurem Festival vermitteln und an wen richtet es sich?
An den Porny Days zeigen wir Sexualität weder in einem medizinischen noch didaktischen noch schmuddeligen Kontext, und auch nicht als Hochleistungssport von durchtrainierten Körpern. Wir möchten Sex als eine lustvolle, lustige, vielschichtige, sensible und persönliche Verbindung zwischen Menschen vermitteln. Wir möchten eine diverse Gesellschaft fördern und richten uns an ein offenes, vielfältiges Publikum. Die Filme und Performances an den Porny Days zeigen und behandeln vielfältige und fluide Sexualitäten und Körper, denn vieles in unserer Gesellschaft hängt davon ab, ob man es klar zuordnen kann. Die meisten Feindbilder wären gar nicht möglich, wenn sie nicht klar definierbar wären als bestimmte Religion, Herkunft, Klasse – oder eben als bestimmtes Geschlecht. In diesem Sinne ist an den Porny Days jede*r willkommen, die*der die anderen Besucher*innen respektiert.

Porny Days 2018 – Riffraff Opening

Die Porny Days finden dieses Jahr bereits zum 7. Mal statt, was bei kleinen Festivals nicht selbstverständlich ist. Was denkst du, macht euer Erfolg aus?
Durch die Verschmelzung mit Kunst werden die sonst oft tabuisierten Inhalte positiv besetzt. Somit schaffen wir einen niederschwelligen Zugang zum Thema. Zudem sind Sexualität und Pornografie Teil von wichtigen und aktuellen Debatten, mit denen wir uns schon lange auseinandersetzen, und die in den letzten Jahren auch vermehrt an die breitere Öffentlichkeit gelangen, z.B. durch #metoo, den Frauen*streik oder auch den wiederauflebenden Feminismus.

“Pornografie ist ein Genre, so wie Liebes- oder Kriegsfilme, und ist somit Teil unserer Kultur und ernst zu nehmender Ausdruck der jeweiligen Gesellschaft.”

Was sind eure weiteren Ziele, wohin soll die Reise noch gehen?
Wir möchten Sex als gesellschaftlich akzeptierten Teil unserer Kultur und unseres Alltags fördern. Und natürlich möchten wir, dass die Porny Days ein fester Bestandteil der Zürcher Kulturszene bleiben. Das hängt aber auch davon ab, wie viel Zeit und Energie wir weiterhin aufbringen können bzw. ob wir künftig mehr Fördergelder bekommen. Bis anhin arbeitet das ganze Team ehrenamtlich.

Welches Bild von Lust und Sexualität steht bei eurer Arbeit im Zentrum?
An den Porny Days wird Sexualität reflektiert, kommentiert, kritisch hinterfragt und auch die lustigen Komponenten der Sexualität mit einbezogen. Ich betrachte Sexualität nicht als etwas unwandelbares, “natürliches”, sondern als ein von der jeweiligen Zeit und Gesellschaft geprägtes Erlebnis. In diesem Sinne sehe ich auch Lust als etwas formbares, das man lernen und in dem man sich weiterbilden kann. Genauso halte ich es auch mit der Pornografie: Sie ist ein Genre, so wie Liebes- oder Kriegsfilme, und ist somit Teil unserer Kultur und ernst zu nehmender Ausdruck der jeweiligen Gesellschaft.

Wie aufgeklärt ist unsere Gesellschaft wirklich?
Ich glaube, dass wir noch viel zu erkunden haben bezüglich unserer Lust, dem Umgang damit und den vielfältigen Spielarten der Sexualität, die es gibt. Auch was die Diversität von Körpern und Gender angeht gibt es noch einiges zu lernen. Dafür braucht es viel mehr niederschwellige und vielfältige Angebote rund ums Thema Sexualität und Pornografie, sowohl im theoretischen als auch im praktischen Bereich.

Sex und Pornografie werden häufig in einem sehr kleinen Spektrum ausgehandelt. Was können wir tun, um diesbezüglich mehr Offenheit und Vielfalt zu erlangen?
Mehr Angebote in unterschiedlichen Bereichen kreieren, wie bereits erwähnt. Mehr über die unterschiedlichen Formen und Erlebnisse von Sex und Pornografie sprechen, Fragen stellen, Unsicherheiten teilen. Sich zugestehen, dass wir Teil sind davon, dass wir sexuelle, lustvolle Wesen sind und dass das etwas Schönes und Gutes ist! Und ganz einfach: Pornos schauen, die ein gleichberechtigtes, zeitgenössisches Menschenbild vermitteln.

Porny Days 2018 – Marianna Chargois “Golden Flux”

Und wie können wir Jugendlichen bereits möglichst früh ein offeneres Bild vermitteln?
Indem wir uns nicht für die eigene Sexualität schämen und den Jugendlichen vermitteln, dass man über alles reden kann und darf, wenn man will. Dass Sex und Lust eine Bereicherung unseres Lebens und unserer Beziehungen sind – und nicht urteilen.

Eine bekannte Regisseurin für feministische und zeitgenössische Pornografie ist Erika Lust. Welche Künstler_innen gibt es in diesem Kontext sonst noch, die euch inspirieren oder an denen ihr euch orientiert?
Eine meiner absoluten Favoritinnen ist die Darstellerin Jasko Fide aus Berlin, dazu auch Lina Bembe, Bishop Black, Sadie Lune und Parker, um nur einige zu nennen. Und ich liebe die Filme des schwulen Filmemachers Antonio da Silva, die queer-feministischen Pornos von Aorta, Lucie Blush, Allie Oops, Four Chambers, Pandora Blake, die Berlin Sex School – ein Porn Education Project aus Berlin, die Schweizer Künstlerin Valérie Reding, die Projekte “Zwischenwelten” und “Feucht” und die Workshops von Maggie Tapert in Zürich, die Arbeiten der ehemalige Sexarbeiterin, Pornodarstellerin und Künstlerin Annie Sprinkle, und noch viele, viele mehr.

Porny Days 2018 – Sex School Berlin, Panel Discussion

Wenn ich mein eigenes Umfeld betrachte habe ich das Gefühl, dass sich in den letzten Jahren etwas getan hat in puncto Offenheit, was Sexualität anbelangt, und das auch nachkommende Generationen anders damit umgehen – man denke etwa auch an die Serie Sex Education. Wie nimmst du das wahr?
Das Gefühl habe ich auch, es tut sich langsam aber sicher etwas. Das sieht man auch am Zuwachs der Publikumszahlen der Porny Days von ein paar hundert zu ein paar tausend Besucher*innen.

Was können Orte wie eine Porny Bells Party bewirken, um Offenheit zu schaffen und Tabus zu brechen, wenn es um sexuelle Wünsche und Bedürfnisse geht?
Dadurch, dass Sexualität ein ganz selbstverständlicher Teil solcher sexpositiven Anlässe ist, sind die Leute meist viel aufmerksamer, feinfühliger und respektvoller im Umgang miteinander. Dazu kommt, dass es für solche Anlässe immer klar kommunizierte Regeln gibt und ein Care-Team, das während der ganzen Nacht vor Ort ist und sich um die Gäste kümmert und darum, dass sich alle wohl fühlen.

Gibt es schon Details zum Programm dieses Jahr, worauf freust du dich besonders?
Meine Highlights sind die Ausstellung mit Studierenden der F+F Schule für Kunst und Design und der Ecole Superieure d’Art de Clermont-Ferrand im 25hours Hotel (Vernissage am Freitag, 29.11. um 19 Uhr im 25hH), die Performance von Gérard Reyes (Fr/Sa, 29/30.11. jeweils um 20:45h im Nordflügel, Gessnerallee) und das Konzert von Mikey Woodbridge (Sa.30.11. um 22 Uhr im Stall6). Filmisch gefallen mir die Kurzfilmprogramme, weil sie jeweils ein grosses Spektrum davon aufzeigen, was innerhalb von Sexualität und Pornografie alles möglich ist. Das macht Lust auf mehr…

Und wird es auch wieder eine Porny Bells Party geben?
Dieses Jahr gibt es “nur” eine kleine Party: die “Schmuse-Party”. Und am Samstag, 21. Dezember veranstalten wir einen sogenannten One Night Stand im Sender, wo Tami T ein Konzert spielen wird und anschliessend drei meiner Lieblings-DJanes auflegen werden. Tami ist 2017 an den Porny Days aufgetreten und ihr Konzert ist bis heute ein absolutes Highlight für mich.

Die Porny Days finden vom 28. November bis 1. Dezember in Zürich statt. Das detaillierte Programm findet ihr unter www.pornydays.love.

Photocredit: Fabienne Watzke, Claudia Popovici, Christopher Horne