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Queer Talk, Vol. 3: “Verlogene Jugend”

Rico Schüpbach

Für das Klima gehen Jugendliche auf die Strasse und fordern Politiker_innen auf, endlich zu handeln. Mobilisiert die heutige Jugend nur für dieses Thema? Wie sieht es mit Feminismus und LGBTIQ-Anliegen aus? Ich traf mich mit Annie Chemla vom Be You Network, einer Community die junge, queere Menschen vernetzt und sich schweizweit für LGBTIQ+ Rechte einsetzt.

“Die Plastikdinger wurden sicherlich am meisten von Klimademonstranten gekauft! Verlogene Jugend!” Dieser charmante Kommentar steht unter einem Artikel auf 20minuten.ch, der den Hype um die neusten Apple-Kopfhörer beschreibt. Viele verärgerte Leser_innen nahmen diese News zum Anlass, sich mal so richtig über die heutige Jugend auszulassen. Obschon es im Artikel primär gar nicht um Jugendliche geht. Das Beispiel zeigt, wie der Anti-Jugend-Diskurs mittlerweile auch bei nicht direkt verwandten Themen um sich greift und alle Bemühungen der Jugend zu vergiften versucht.

Klar, kann man einwenden, dass Kommentare sowieso immer Hate Speech sind. Aber so einfach ist das nicht. Man kann auch nicht einfach sagen: “Logisch ist Germany’s Next Topmodel sexistischer Mist, aber schaut doch einfach nicht hin.” So funktionieren Medien nicht. Mediale Erzeugnisse jeglicher Art beeinflussen uns. Ob wir bewusst hinschauen oder nicht. Liest man sich die Kommentare durch, könnte man meinen, die Jugend sei komplett verblödet und inkonsequent: Trotz ihren Streiks würden aktive Jugendliche weiterhin böse Tech-Gadgets konsumieren und wie wild um die Welt fliegen. Wenn sogar der Klimawandel polarisiert – und bei diesem Thema herrscht nun wirklich breiter Konsens, dass man irgendetwas dagegen tun sollte – kann man sich ja vorstellen, wie die Leute auf dieses “verrückte Genderzeugs” reagieren.

Die Gesellschaft ist in Sachen Geschlechtsidentitäten und sexueller Orientierung mittlerweile etwas entspannter. Demonstrieren junge Personen jedoch für LGBTIQ+ Rechte und Feminismus, ertönt oftmals die vorwurfsvolle Frage: Wofür setzen die sich eigentlich noch ein? Die verwöhnteste Generation von allen könne sich doch wohl kaum beschweren. Und dann erst noch in der Schweiz. Wer wirklich denkt, es sei alles tip top, der möge doch bitte diesen Bericht lesen.

Unter diesen Umständen ist es gerade für junge, queere Menschen enorm wichtig, sichtbar zu sein und gehört zu werden. Networks wie Milchjugend, Du bist du, Be You Network, TGNS und weitere helfen jungen Queers dabei sich zu vernetzen und gemeinsam auch politisch aktiv zu werden.

Alle genderqueer, trans, non-binär und sowieso
“Wenn die armen Kinder den ganzen Tag von Trash-TV Sendungen berieselt werden, dann kommt man halt nach einer erfolgreichen Gendertrans-Gehirnwäsche auf solche Ideen”, erzürnt sich eine Leserin auf aargauerzeitung.ch. Gendertrans-Gehirnwäsche, aha.Weder die Klimajugend noch die LGBTQ+ Community wurden einer “Gehirnwäsche” unterzogen. Viele Filme, Netflix-Serien, Kinderbücher und weiteres sind zwar inklusiver geworden, nichtdestotrotz prägen binäre, heteronormative Vorstellungen nach wie vor unsere Gesellschaft.

Unter diesen Umständen ist es gerade für junge, queere Menschen enorm wichtig, sichtbar zu sein und gehört zu werden. Networks wie Milchjugend, Du bist du, Be You Network, TGNS und weitere helfen jungen Queers dabei sich zu vernetzen und gemeinsam auch politisch aktiv zu werden. Kommentare wie der obenstehende zeigen, wie wichtig es ist, dass es solche Netzwerke gibt. “Queere Jugendliche sind auch heute noch massiven Diskriminierungen ausgesetzt, wie stark das jeweils der Fall ist, kommt sehr auf die Umgebung an”, so Annie Chemla vom Be You Network. Ihr Netzwerk setzt sich unentwegt für die gleichen Rechte von allen ein. Mit Erfolg. Bereits über 110 Organisationen, darunter Jugendverbände, Sportclubs und Vereine, konnte das Be You Network auf LGBTIQ+ Themen sensibilisieren. Annie und ihr Team geben Workshops, schreiben Leitfäden und beraten die Zuständigen jeweils persönlich, damit sie ihren Umgang mit jungen Queers verbessern können. “Wir kreieren Inhalte, die Sichtweisen verändern und Aktionen, die motivieren, damit Geschlechternormen nicht mehr definieren wer du bist, wen du lieben darfst und was du erreichen kannst.”

Unter dem Projektnamen BØWIE organisiert das Be You Network ausserdem Veranstaltungen, bei denen sich Jugendliche zusammentun, um gemeinsam Gender-Projekte zu entwickeln.

BØWIE – Projekt mit ambitionierten Zielen
Für Annie Chemla ist eine interdisziplinäre Zusammenarbeit enorm wichtig und sie betont, dass dabei eine gute Vernetzung und die stetige Aufklärungsarbeit eine grosse Rolle spielen. Unter dem Projektnamen BØWIE organisiert das Be You Network ausserdem Veranstaltungen, bei denen sich Jugendliche zusammentun, um gemeinsam Gender-Projekte zu entwickeln. “Unser Ziel ist es, gemeinsam mit jungen Menschen, die in Sachen Gleichstellung etwas bewirken wollen, eine Community zu schaffen”, so Annie. “BØWIE dauert sechs Monate. In drei Jahren wollen wir in acht Schweizer Städten 80 Projekte realisieren und über 50’000 Menschen erreichen.” Bowie heisst, kämpfen für eine Zukunft ohne Diskriminierung.

“Homophobie ist keine Meinung”
“Viele denken, Homophobie sei eine Meinung, ist es aber nicht. Wenn man findet Lesben, Schwule und Transmenschen hätten nicht die gleichen Rechte verdient, ist das keine Meinung, sondern Diskriminierung und Unterdrückung.” So können auch Islamfeindlichkeit, Antisemitismus, Rassismus oder Misogynie nicht als Meinungen gelten. “Alle queeren Jugendlichen müssen in Zukunft die gleichen Möglichkeiten wie alle anderen haben. Das ist ein gesellschaftliches Ziel, wofür ich Tag für Tag einstehe.”
Einleuchtend, denn gleiche Rechte für alle zu fordern, ist nicht wirklich radikal, sondern einfach nur fair.